Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

272 8 80. Die Seeschiffahrt und die Wasserstraßen. 
4. Der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reichs unterliegt der 
Flößerei- und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen 
Wasserstraßen sund der Zustand der letzteren«. Reichsverf. 
Art.4, Ziff. 9. Diese Worte fehlen in den Grundzügen vom 10. Juli 
1866 und dem preußischen Entwurf der norddeutschen Bundesver- 
fassung; sie finden sich aber bereits in dem dem verfassungsberaten- 
den Reichstage vorgelegten Entwurf; sie sind also bei den Berliner 
Konferenzen von 1867 hinzugefügt worden. Man muß daher anneh- 
men, daß ihnen eine selbständige Bedeutung zukommt und sie die 
Zuständigkeit des Bundes über die im preußischen Entwurf gezogenen 
Grenzen hinaus erweitern sollten, d. h. daß die Kompetenz des Reiches 
sich nicht nur auf den Zustand der mehreren Staaten gemeinsamen 
Wasserstraßen in Beziehung auf den Flößerei- und Schiffahrtsbetrieb 
beschränkt, auf welchen sich die Ziff. 9 des Art. 4 ursprünglich allein 
bezog, sondern daß sie den gesamten Zustand dieser Wasserstraßen 
auch in bezug auf Fischerei, Uferbauten, Flußkorrektionen, Brücken- 
anlagen usw. umfaßt. Dazu gehört namentlich auch die aus gesund- 
heits- oder veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotene Reinhaltung 
des Wassers. Diese Zuständigkeit hat das Reich bisher aber tatsäch- 
lich noch nicht ausgeübt!), weder durch Akte der Gesetzgebung noch 
durch Organisation von Aufsichtsbehörden. Für einige der wichtigsten 
Wasserstraßen bestehen besondere vertragsmäßige Vereinbarungen der 
Uferstaaten, nämlich für Rhein, Elbe und Weser, sowie für die 
Donau ?). 
5. Endlich ist das Reich befugt zur Herstellung von Land- und 
Wasserstraßen im Interesse der Landesverteidigung und des allgemei- 
nen Verkehrs. Reichsverf. Art. 4, Ziff. 8. Hiervon hat das Reich Ge- 
brauch gemacht durch Herstellung des Nordostseekanals?). 
und in den kaiserl. Verordnungen vom 29. Dezember 1881 (Reichsgesetzbl. S. 275) 
und vom 1. Juni 1886 (Reichsgesetzbl. S. 179). 
1) Man kann jedoch hierher rechnen die Vorschriften derGewerbeordnung 
8 16 ff. über Stauanlagen für Wassertriebwerke und den Vertrag zwischen Deutsch- 
land, den Niederlanden und der Schweiz, betreffend die Regelung der Lachs- 
fischerei im Stromgebiete des Rheins, vom 30. Juni 1885 (Reichsgesetzbl. 1886, 
S. 192 ff). Auch hat der Bundesrat durch einen Beschluß von 1901 dem Reichs- 
gesundheitsrat eine vermittelnde Tätigkeit, das Recht zu gutachtlichen Vor- 
schlägen und zur Ausgleichung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten, 
denen eine Wasserstraße gemeinsam ist, zugewiesen zur Verhütung drohender Miß- 
stände oder zur Verbesserung vorhandener Zustände hinsichtlich der Gesundheits- 
und Veterinärpolizei. 
2) Vgl. Otto Mayer Art. „Binnenschiffahrt* in v. Stengels Wörterbuch I, 
S. 215. Ueber die Rechtsverhältnisse am Rhein gibt vollständigen Aufschluß das 
vom Zentralbureau für Meteorologie und Hydrographie im Großherzogtum Baden 
herausgegebene vortreffliche Werk „Der Rheinstrom und seine wichtigsten Neben- 
flüsse“, Berlin 1889, S. 276 ff. u. 327 ff. Vgl. auch v. Völderndorffin Hirths An- 
nalen 1890, S. 855 ff. 
3) Reichsgesetz vom 16. März 1886 (Reichsgesetzbl. S. 58) und Verordnung vom 
17. Juli 1886 (daselbst S. 233).
	        
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