294 $ 82. Die Arbeiterversorgung.
wie bei den Obligationen des Privatrechts, sondern um ein publizi-
stisches Verhältnis. Das Reich hat die Fürsorge für die Arbeiter zu
seiner Aufgabe gemacht; Krankenkassen, Berufsgenossenschaften,
Versicherungsanstalten erfüllen eine ihnen vom Reich auferlegte
Pflicht, indem sie die Unterstützungen gewähren ; der Versorgungsan-
spruch des Arbeiters ist nicht ein privatrechtlich erworbener, sondern
ein ihm vom Reich verliehener;die sozialistische Staatsidee, nach
welcher der Staat seinen Angehörigen nicht nur Rechtsschutz, sondern
auch den Lebensunterhalt zu gewähren habe, hat in den Arbeiterver-
sicherungsgesetzen eine teilweise Verwirklichung gefunden. Anderer-
seits muß der Staat die zur Erfüllung dieser Aufgabe erforderlichen
Geldmittel den Trägern der Arbeiterversicherung bereitstellen. Er
könnte dies durch Verwendung der allgemeinen Steuern und Abgaben
tun, wie dies für die Alters- und Invaliditätsversicherung in der Gestalt
des Reichszuschusses in der Tat teilweise geschehen ist. Abgesehen
hiervon hat aber die Reichsgesetzgebung die zunächst an der Arbeiter-
versorgung Interessierten zur Aufbringung der Geldmittel verpflichtet.
Arbeiter und Arbeitgeber erfüllen durch Zahlung der Beiträge eine
ihnen vom Reich auferlegte Last, welche, wenngleich sie ihnen selbst
wieder zugute kommt, ihr nächstes und eigentliches Fundament im
öffentlichen Interesse hat. Der Versicherungszwang is
die rechtliche Verpflichtung und staatliche Nötigung zu denjenigen
Leistungen, welche zur tatsächlichen Durchführung der Fürsorge ge-
setzlich erfordert werden. Er schließt daher die Zahlungspflicht in sich;
aber er ist nicht auf dieselbe beschränkt, sondern er enthält noch
andere Verpflichtungen, insbesondere die Anmeldepflicht, die Pflicht
zur Führung genossenschaftlicher Aemter usw.
Demgemäß ist der Anspruch der Krankenkassen, Berufsgenossen-
schaften usw. auf die Beiträge ein vom Reich verliehenes einseitiges
Recht, wie die korrespondierende Pflicht zur Zahlung der Unter-
stützungen eine einseitige, aus dem Gesetz hervorgehende ist. So
wenig wie die Erteilung des öffentlichen Volksschulunterrichts und die
Zahlung des Schulgeldes oder wie die Erteilung eines gerichtlichen
Urteils und die Pflicht zur Tragung der Prozeßkosten sich zu zwei-
seitigen obligatorischen Rechtsverhältnissen verbinden, ebensowenig ist
dies der Fall zwischen der Versorgung der Arbeiter und den dafür
zu entrichtenden Beiträgen ').
1) Die juristische Natur der Arbeiterversicherung ist Gegenstand einer lebhaften
Kontroverse, welche mit größter Ausführlichkeit von Weyl S. 877 ff. dargestellt
wird. Viele Schriftsteller, insbesondere Piloty, Unfallversicherung I, S. 163, II,
S. 409 ff.; MenzelS. 185 fl.; Köhne, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht
Bd. 37, S. 76 fl.; Bornhak ebenda Bd. 39, S. 233 ff.; Meyer, Verwaltungsrecht];
$ 184; Laß, Versicherungsmarke S. 40 fg. ordnen die Arbeiterversorgung dem all-
gemeinen Begriff der „Versicherung“ unter. Da aber auch von den Vertretern der
Versicherungstheorie zugegeben werden muß, daß die sogenannte Arbeiterversiche-
rung auf keinem Vertrage oder Quasivertrage, sondern auf einem staatlichen Zwange