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Vorschriften über die Rechtshilfe erlasen. Während
aber die Verfassung nur von der Vollstreckung von Erkenntnissen in
Zivilsachen und der Erledigung von Requisitionen sprach, hat das
Rechtshilfegesetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die Betätigungen
der den Einzelstaaten zustehenden Gerichtsbarkeit in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen ihre Wirkungen auf das ganze
Bundesgebiet erstrecken. In Zivilsachen wurde der Grundsatz
anerkannt, daß, wenn eine Rechtsstreitigkeit in einem Bundesstaate
rechtshängig geworden oder rechiskräftig entschieden ist, die Rechts-
hängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte aller Bundesstaa-
ten geltend gemacht werden kann!), daß die Gerichte des Bundes-
gebiets sich gegenseitig Rechtshilfe zu leisten haben, ohne Unterschied,
ob das ersuchende und das ersuchte Gericht demselben Bundesstaate
oder ob sie verschiedenen Bundesstaaten angehören?); daß das Er-
suchen direkt von Gericht zu Gericht ergeht’); daß die in einem
Bundesstaate ergangenen rechtskräftigen Erkenntnisse im ganzen Bun-
desgebiete vollstreckbar sind *%), und daß das in einem Bundesstaate er-
öffnete Konkursverfahren in bezug auf das zur Konkursmasse gehörige
Vermögen und in betreff der Beschränkungen der Verfügungs- und
Verwaltungsrechte des Gemeinschuldners seine Wirkung in dem ge-
samten Bundesgebiete äußert’). Aber auch in Strafsachen wurde im
Prinzip die Verpflichtung zur Rechtshilfe unter allen Gerichten des
Bundes anerkannt‘), eine sehr ausgedehnte Pflicht zur Auslieferung
eingeführt, die sich auch auf die eigenen Angehörigen des ersuchten
Staates erstreckt’), die Nacheile der Sicherheitsbeamten in benach-
barte Staatsgebiete gestattet ?), ja sogar den Gerichten die Pflicht zur
Vollstreckung der in einem anderen Bundesstaate erlassenen Straf-
urteile in nicht unerheblichem Umfange auferlegt ?°).
Nachdem im Wege des Vertrages die Anwendung dieses Gesetzes
auf Baden und Südhessen ausgedehnt worden war’), erfolgte bei der
Gründung des Reiches die Erklärung desselben zum Reichsgesetz.
Im Deutschen Reich waren daher von Anfang an die Einzelstaaten in
betreff der Ausübung der Gerichtsbarkeit in eine viel innigere Wechsel-
beziehung zueinander gesetzt als bei Gründung des Norddeutschen
Bundes; sie waren reichsgesetzlich verpflichtet, ihre Hoheitsrechte be-
hufs Durchführung des Rechtsschutzes einander zur Verfügung zu
stellen und in weitreichendem Umfange die gerichtlichen Beschlüsse,
Entscheidungen und Urteile gegenseitig anzuerkennen und zu voll-
strecken. War formell auch die Gerichtsbarkeit ein Recht der Bundes-
staaten geblieben und als solches in seiner Ausübung auf das Gebiet des
1) Rechtshilfegesetz $ 19.
2) Rechtshilfegesetz $ 1. 3) 8 2 daselbst. 4) 8 7 ff. daselbst.
5) 8 13 daselbst.
6) $ 20 daselbst. 7) 8 21 ff. daselbst. 8) $ 30 daselbst.
9) 8 33 daselbst. 10) Bundesgesetzbl. 1870, S. 67 ff., 607 ff.