Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

368 8 83. Gerichtswesen. Einleitung. 
Staatsrechts, sondern von dem des Prozeßrechts aus ge- 
schieht und da infolgedessen staatsrechtliche und prozessualische 
Regeln fortwährend miteinander verknüpft, niemals einander gegen- 
über gestellt werden. So wie das Strafgesetzbuch eine reiche Quelle 
für das Staatsrecht ist, deren Verwertung nicht ausschließlich den 
Strafrechtsschriftstellern überlassen bleiben kann, so sind auch die 
Prozeßgesetze auf ihren staatsrechtlichen Inhalt zu untersuchen und 
für das Staatsrecht zu verwerten. Es gilt dies in besonders hervor- 
ragendem Maße von der Gerichtsverfassung, die eine ebenso 
wesentliche und erhebliche Bedeutung für das Behördensystem und 
die Aemterverfassung des Staates wie für die Ordnung des Prozesses, 
der Zuständigkeitsnormen, des Verfahrens, der Rechtsmittel usw. hat. 
Wenn es sonach für das öffentliche Recht je des Staates als eine 
Aufgabe der Wissenschaft hingestellt werden muß, die staatsrechlichen 
Vorschriften über die Gerichtsbarkeit von den prozeßrechtlichen Vor- 
schriften über das gerichtliche Verfahren auszusondern, so bietet für 
das Staatsrecht des Deutschen Reiches die Gesetzgebung über das Ge- 
richtswesen noch eine andere Seite von sehr weitreichender Bedeutung 
dar. Sie steckt nämlich auf einem sehr umfassenden und wichtigen 
Gebiete die Grenzen ab, welche der Autonomie und Gerichtsgewalt der 
Einzelstaaten gezogen sind; sie legt den Einzelstaaten Verpflichtungen 
und Beschränkungen auf; sie regelt die ihnen auf dem Gebiet der 
Rechtspflege zustehenden Herrschaftsrechte; in ihr wird der Einfluß 
des unter den Einzelstaaten bestehenden bundesstaatlichen Verhält- 
nisses und der über ihnen errichteten souveränen Reichsgewalt in be- 
zug auf die Rechtspflege festgestellt. 
Von diesen Gesichtspunkten aus ist die folgende Darstellung unter- 
nommen. Freilich ist eine völlig scharfe Trennung der prozessualischen 
und der staatsrechtlichen Sätze über die Gerichtsbarkeit kaum möglich ; 
bei vielen Punkten kann man zweifelhaft sein, ob sie dem einen oder 
anderen Gebiete zuzuweisen seien. Auch die hier folgende Darstellung 
hätte sich noch auf manche andere Lehre erstrecken und dafür viel- 
leicht den einen oder anderen Punkt übergehen können; aber der 
Versuch mußte einmal gewagt werden, auf diesem Gebiete die Grenzen 
des deutschen Staatsrechts richtiger, als es bisher geschehen ist und 
als es bisher wohl auch möglich war, zu bestimmen. 
Nur einen Punkt möchte ich hier, um Mißverständnissen vorzu- 
beugen, noch besonders hervorheben. Die Zwangsmittel gegen die 
Parteien, welche der Staatsgewalt gesetzlich zu Gebote stehen, um im 
gerichtlichen Verfahren die materielle Wahrheit zu ermitteln und um 
das Urteil zu vollstrecken, bieten zwar unzweifelhaft auch eine Seite 
für die staatsrechtliche Betrachtung dar; hier fallen aber die Regeln 
über die Voraussetzungen, den Umfang und die Formen der Geltend- 
machung vollständig mit den Regeln über das Prozeßverfahren zu- 
sammen. Ein näheres Eingehen auf diese Materien würde daher in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.