8 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 371
sie umfaßt auch diejenigen Rechtsangelegenheiten, in welchen der Be-
klagte den Anspruch des Klägers anerkennt oder die ihm zur Last
gelegte strafbare Handlung zugesteht. Als »streitig« wird die Gerichts-
barkeit nur deshalb bezeichnet, weil dem Verklagten oder Angeklagten
die Befugnis zusteht, Widerspruch gegen den Klageantrag zu erheben
und deshalb die rechtliche Möglichkeit eines Streites gegeben
ist. Die streitige Gerichtsbarkeit setzt Parteien voraus, welche
untereinander einen Rechtsstreit haben können. Diese rechtliche
Möglichkeit ist maßgebend für die ganze Einrichtung der zur Hand-
habung der Rechtspflege bestimmten Behörden und für die Struktur
des Verfahrens; in der Erledigung des Streites liegt der Schwerpunkt
des Prozesses. Für den Begriff der streitigen Gerichtsbarkeit als
einer staatlichen Funktion ist aber »die Entscheidung eines Rechts-
streites«e nicht wesentlich, da einerseits die streitige Gerichtsbar-
keit des Staates in zahlreichen Fällen ausgeübt wird, in denen es an
einem Streit völlig gebricht'), und andererseits die Entscheidung eines
Rechtsstreites durch Urteil auch ohne alle Mitwirkung staatlicher Be-
hörden und ohne Inanspruchnahme staatlicher Hoheitsrechte erfolgen
kann?. Zwar umfaßt die staatliche Aufgabe der Handhabung des
Rechtsschutzes auch die Verhandlung und Entscheidung etwaiger
Rechtsstreitigkeiten; aber es ist hierin nur ein Bestandteil dieser
Aufgabe zu erblicken, welcher unbeschadet des Wesens der streitigen
Gerichtsbarkeit auch fehlen kann.
Hiernach erhebt sich die Frage, worin denn das
staatsrechtliche Wesen der streitigen Gerichtsbar-
keit besteht und in welcher Weise die Staatsgewalt
in ihr sich geltend macht. Die Lösung dieser Frage kann
nicht gefunden werden von irgendwelchen prozessualischen Rechts-
begriffen aus, die vielmehr erst aus ihr abgeleitet werden können,
sondern nur aus dem Staatsbegriff und den anerkannten Prinzipien
über die Aufgaben des Staates. Hier ist nun mit Rücksicht auf die
heutige Gestaltung der staatlichen Aufgaben zwischen der Gerichtsbar-
keit in privatrechtlichen Angelegenheiten und derjenigen in öffentlich-
rechtlichen zu unterscheiden.
a) In betreffder bürgerlichen Rechtsverhältnisse er-
kennt der Staat die Freiheit der Individuen innerhalb der von der
Rechtsordnung gezogenen Schranken an. Insoweit diese Schranken
freien Spielraum lassen, hat der Staat kein Interesse daran, wie die
privatrechtlichen Verhältnisse der einzelnen gestaltet werden; er sichert
—
1) Wach, Zivilprozeß I, S. 18.
2) Durch Schiedsspruch oder durch Erkenntnis auswärtiger Gerichte, die
im Inlande nicht Verwalter von staatlichen Hoheitsrechten sind, deren Urteile aber
trotzdem unter gewissen Voraussetzungen hinsichtlich des unter den Parteien be-
stehenden BRechtsverhältnisses maßgebend sein können. Zivilprozeßordnung 8 722,
723 u. 1040 ff.