374 $ 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
Der Klageantrag braucht sich mit dem Anspruch an den Verklagten
nicht zu decken; er kann auf einen Teil des Anspruchs gerichtet sein
oder über ihn hinausgehen; ja er kann wirksam gestellt werden, ohne
daß dem Kläger in Wahrheit überhaupt ein gültiger Anspruch an den
Verklagten zusteht'). Die Klage richtet sich — wenigstens nach dem
heutigen Recht — nicht gegen den Verklagten mit dem Anspruch,
daß er leiste, sondern gegen den Staat mit dem Antrag, daß er
dem Kläger Rechtsschutz gewähre. Der Kläger hat überhaupt gar keinen
Rechtsanspruch an den Verklagten, daß dieser sich mit ihm in einen
Prozeß einlasse, sondern er hat an den Verklagten nur den aus dem
Privatrechtsverhältnis resultierenden Anspruch. Von einer Einlassungs-
pflicht des Verklagten, wenn eine solche bestünde°), könnte nur ge-
sprochen werden, gegenüber dem Staate, nicht gegenüber dem Klä-
ger. Einer solchen Einlassungspflicht bedarf es aber nicht, um den
Verklagten der staatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen; denn die
letztere, welche mit der Staatsgewalt identisch ist, ergreift die dem
Staate unterworfenen,Personen ohne ihren Willen und ohne ihr Zu-
tun‘). Es gibt keine »Pflicht, sich der Staatsgewalt zu unterwerfen«,
sondern nur einen Rechtszustand des Unterworfenseins unter die
Staatsgewalt. In manchen Fällen gewährt der Staat ja auch wenigstens
provisorisch oder unter Vorbehalten den verlangten Rechtsschutz auf
einseitigen Vortrag des Klägers. Regelmäßig aber läßt der Staat,
bevor er über den Klageantrag entscheidet, den Verklagten zur Ver-
teidigung und zur Erhebung des Widerspruchs zu. Der letztere kann
eine doppelte Richtung haben. Er kann die staatsrechtliche
Seite des Prozesses betreffen, d. h. darauf gegründet werden, daß der
Verklagte der Gerichtsbarkeit des Staates nicht unterworfen sei, oder
daß dem Kläger für den von ihm behaupteten Anspruch aus materi-
ellen oder formellen Gründen der Rechtsschutz des Staates nicht ge-
währt werden dürfe usw. Er kann aber auch die privatrechtliche
Grundlage der Klage betreffen, d. h. denjenigen Anspruch des Klägers
gegen den Verklagten, für dessen Durchführung in der Klage die Staats-
hilfe verlangt wird. Alsdann ist zunächst festzustellen, ob der Kläger
den von ihm behaupteten Rechtsanspruch darzutun vermocht hat;
S. 75 ff., Bd. 64, S. 8ff. Vgl. ferner Degenkolb, Einlassungszwang und Urteils-
norm, Leipzig 1877, S. 26 ff. und besonders die vorzügliche Ausführung Sohmsin
Grünhuts Zeitschrift Bd. 4, S. 467 ff.
1) Vgl. auch Wach, Vorträge über die Zivilprozeßordnung S. 15, Anm. und
Zivilprozeß I, S. 20 ff.
2) Zu einer eingehenden Erörterung dieser in neuester Zeit vielfach behandelten
Streitfrage liegt an dieser Stelle keine Veranlassung vor.
3) Der Verklagte kann niemals „Recht“ gewähren, dazu ist ausschließlich der
Staat kraft seiner obrigkeitlichen Gewalt imstande; der Verklagte kann nur diejenige
Leistung machen, zu welcher er verurteilt ist. Damit stimmt jetzt auch Wach,
Zivilprozeß I, S. 21 überein.
4) Vgl. A. S. Schultze, Konkursrecht S. 147.