Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 379 
klagten und das kondemnatorische Urteil kein bloßes Gutachten dar- 
über, welche Strafe dem Recht in concreto entsprechend sei, sondern 
ein Befehl, die Strafe zu vollziehen. Auch hier zeigt sich der staats- 
rechtliche Charakter des Urteils in seiner Vollstreckbarkeit. 
Ebenso enthält das freisprechende Urteil den staatlichen Befehl, den 
Angeklagten als nicht schuldig des ihm zur Last gelegten Vergehens 
zu behandeln, und es kann auch vollstreckbar sein, z. B. durch Frei- 
lassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft, Wiedereinsetzung 
in ein Amt, Freigabe der mit Beschlag belegten Gegenstände usw. 
Bei dieser Verschiedenheit der staatlichen Funktion, welche in der 
bürgerlichen Rechtspflege einerseits und der Strafrechtspflege anderer- 
seits sich geltend macht, erhebt sich die Frage, worin das gemeinsame 
Moment des Zivil- und Strafprozesses und die Zusammenfassung bei- 
der zum Begriff der »streitigen Gerichtsbarkeit«, der »Rechtspflege«, 
beruhe. Daß dieses Moment weder in der Gleichartigkeit des Ver- 
fahrens noch in der Zuständigkeit der Behörde gesucht werden kann, 
liegt klar zutage, da in beiden Beziehungen zwischen der Zivil- 
und Strafrechtspflege die eingreifendsten Verschiedenheiten bestehen 
und die für beide gemeinsamen Einrichtungen ohne prinzipielle Be- 
deutung sind. 
Dieses gemeinsame Moment liegt in der staatsrechtlichen Eigen- 
tümlichkeit des Urteilsbefehls, der sich sowohl von dem Ge- 
setzesbefehl (Bd. 2, S. 4 fg), wie von dem Verwaltungs- 
befehl (Bd. 2, S. 191, 197) unterscheidet. Urteilsbefehle und Ver- 
waltungsbefehle haben das miteinander gemein im Gegensatz zum 
Gesetzesbefehl, daß sie nicht wie dieser eine abstrakte Norm aufstellen, 
sondern einen konkreten Fall betreffen; sie unterscheiden sich aber 
voneinander dadurch, daß bei den Verwaltungsbefehlen (Verfügungen) 
der Staat ein sachliches Interesse an ihrem Inhalt hat, durch die- 
selben einen bestimmten Erfolg erreichen will und daß deshalb der 
Inhalt des Befehls sich mit Rücksicht auf die zu erreichenden Zwecke 
bestimmt; bei den Urteilsbefehlen dagegen der Staat nur daran ein 
Interesse nimmt, daß dasjenige geschehe, was das objektive Recht im 
konkreten Falle gebietet, und daß er deshalb durch ein kontradik- 
torisches Verfahren und einen Wahrspruch des Gerichts zunächst das 
konkrete Recht finden läßt. Für die Durchführung der Staatsaufgaben 
ist es gänzlich unerheblich, ob A. oder B. eine streitige Wiese besitzt 
oder eine streitige Geldsumme erhält und ob X. eine gewisse Strafe 
im Gefängnis oder Zuchthaus abbüßt oder nicht; das Interesse des 
Staates konzentriert sich allein darauf, daß jeder gegen Verkümmerung 
seiner Rechte Schutz findet und daß der Verbrecher diejenige Strafe 
erleidet, welche seiner Untat nach Rechtsgrundsätzen entspricht. 
Von diesem Prinzip aus und ganz in derselben Weise ist auch 
die Grenze der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegen die Zu- 
ständigkeit der eigentlichen Verwaltungsbehörden zu bestimmen. Ueber-
	        
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