Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

386 8 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 
1. Zur Sicherung dieses Verbotes hat das Reich den Grundsatz 
sanktioniert, daß dieGerichte über die Zulässigkeit des Rechtsweges 
entscheiden. Auch dieses Prinzip hat aber eine weitreichende Ein- 
schränkung erfahren, indem die Einzelstaaten ermächtigt worden 
sind, besondere Behörden einzusetzen, um Streitigkeiten zwischen den 
Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über 
die Zulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden '). Für die Ausübung 
dieser Befugnis sind den Einzelstaaten jedoch vom Reich Normativ- 
vorschriften erteilt worden, durch welche den zur Entscheidung der 
Kompetenzkonflikte eingesetzten Behörden ein gewisses Maß von Un- 
abhängigkeit gesichert werden soll ?). Diese Vorschriften betreffen die 
Zusammensetzung der Behörden und das Verfahren. Mindestens die 
Hälfte der Mitglieder muß dem Reichsgericht (oder obersten Landes- 
gerichte) angehören; die Mitglieder müssen für die Dauer des zur Zeit 
ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Amts oder, falls sie zu dieser 
Zeit ein Amt nicht bekleiden, auf Lebenszeit ernannt werden; eine 
Enthebung vom Amt kann nur unter denselben Voraussetzungen wie 
bei den Mitgliedern des Reichsgerichts stattfinden. Die Einsetzung 
einer solchen Behörde entzieht den ordentlichen Gerichten nicht die 
Befugnis, in allen vor ihnen anhängigen Sachen über die Zulässigkeit 
des Rechtsweges zu entscheiden und ihre Kompetenz zu prüfen; die 
»besondere Behörde« entscheidet vielmehr nur in dem Falle, wenn 
ein Antrag darauf gestellt, der sogenannte Kompetenzkonflikt erhoben 
worden ist’), und ein solcher Antrag ist nur statthaft, solange nicht 
durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts feststeht, daß der Rechtsweg 
zulässig ist. Das Verfahren der besonderen Behörde istgesetzlich zu 
regeln; die Entscheidung muß in öffentlicher Sitzung nach Ladung 
der Parteien erfolgen; an den Entscheidungen dürfen Mitglieder nur 
in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken und diese Anzahl muß 
eine ungerade sein und mindestens fünf betragen. 
Der Kompetenzkonflikt kann entweder ein positiver sein, 
d. h. wenn sowohl ein Gericht als eine Verwaltungsbehörde oder ein 
davon ausgenommen; ihre Errichtung setzt jedoch die Verhängung 
desBelagerungszustandes voraus. Hinsichtlich Bayerns vgl. die Ver- 
handlungen der Reichstagskommission I. Lesung, S. 142 ff. (Hahn S. 422 ff.) — Eine 
Anomalie war das in Elsaß-Lothringen durch Verordnung des Generalgouvernements 
vom 19. Dezember 1870 eingeführte ständige Kriegsgericht; es ist aufgehoben 
worden durch Gesetz vom 24. Januar 1881 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen S. 1). 
1) Eine Zusammenstellung der in den Einzelstaaten ergangenen Gesetze gibt 
Wach], S. 101, Note 65. Vgl. ferner die treffliche Darstellung von Nadbylin 
v. Stengels Wörterbuch I, S. 808 ff. Gerichtshöfe zur Entscheidung von Kompetenz- 
konflikten sind errichtet worden in Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, 
Hessen, Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig und Koburg-Gotha. 
2) Gerichtsverfassungsgesetz $& 17, Abs. 2. 
38) Das Gesetz erfordert einen Kompetenzkonflikt, d. h. nicht bloß Zweifel 
über die Zulässigkeit des Rechtsweges, sondern „Streitigkeiten“ darüber zwischen den 
Gerichten und Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten.
	        
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