Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

396 S 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 
mittelbar gewordenen Fürsten, Grafen und Herren untergelegt werden 
sollte, so wurde in mehreren deutschen Staaten den Standesherren in 
Strafsachen ein Gericht von Standesgenossen gewährt ') und hierauf 
mißbräuchlich der Ausdruck Austrägalinstanz angewendet. So be- 
stimmt z. B. der durch die preußische Verordnung vom 12. Novem- 
ber 1855 $ 3 in Kraft erhaltene $ 17 der Instruktion vom 30. Mai 1820: 
»In peinlichen Sachen, mit Ausnahme der im kgl. Dienste began- 
genen Verbrechen, genießen die Häupter der standesherrlichen Fa- 
milien, sofern sie nicht den Gerichtsstand eines Obergerichtes vor- 
ziehen, einen privilegierten Gerichtsstand vor Austrägen.« Auf 
diesen »besonderen Gerichtsstand vor Austrägen in Strafsachen« 
nehmen die Motive des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz 
zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 212 (Hahn I, S. 185) Bezug und in 
diesem Sinne ist $ 7 cit. zum Gesetz erhoben worden?) Hieraus 
folgt, daß in dem $ 7 der Ausdruck »Austräge« nicht in seiner eigent- 
lichen und wörtlichen Bedeutung, sondern in der seit Anfang des 
19. Jahrhunderts üblich gewordenen zu verstehen ist, und es ergeben 
sich hieraus folgende Rechtssätze: 
«) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind die Standesherren 
von der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht befreit und ihre Austräge 
stehen unter den allgemeinen Regeln von Schiedsverträgen und dem 
schiedsrichterlichen Verfahren (Zivilprozeßordn. 88 1025 ff.). 
8) In peinlichen Sachen sind die Standesherren von der ordent- 
lichen Gerichtsbarkeit befreit und mit dem Recht auf Austräge (Pairs- 
gerichte) in demjenigen Umfange ausgestattet, in welchem ihnen 
dieses Privilegium bei Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes 
»landesgesetzlich gewährt war«°). Ein solches Vorrecht kann durch 
Landesgesetz nicht mehr neu eingeführt oder ausgedehnt werden. 
y) Insoweit hiernach die Standesherren der ordentlichen streitigen 
Gerichtsbarkeit unterworfen sind, kommt ihnen keinerlei privile- 
gierter Gerichtsstand, weder in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 
noch in Strafsachen, zu !). 
V. So wenig die Einzelstaaten befugt sind, Befreiungen von der 
ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit zu gewähren, ebensowenig ist 
es ihnen gestattet, die letztere oder deren Ausübung zu verleihen oder 
unter irgend einem Rechtstitel zu übertragen, »Die Gerichte 
sind Staatsgerichte?°)« Der Ausdruck »Staatsgerichte« steht hier 
nicht im Gegensatz zu Reichsgerichten, über die das Gerichtsver- 
fassungsgesetz selbst ja Bestimmungen trifft, sondern im Gegensatz zu 
1) Vgl. die Nachweisungen bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht 
I, 8 98, Note 7 (3. Autl., S. 526). 
2) Vgl. Protokoll der Kommission S. 441. (Hahn I], S. 651.) 
3) Ueber das austrägalgerichtliche Verfahren siehe John I, S. 89. 
4) Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 57. (Hahn S. 66.) 
5) Gerichtsverfassungsgesetz 8 15.
	        
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