Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

8 85. Die Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten. 399 
Willen bestimmt, sondern sie sind durch die vom Reiche als einer 
höheren Macht ihnen erteilten Vorschriften gebunden. Die prak- 
tische Tragweite dieses staatsrechtlichen Prinzips ergibt sich aus fol- 
genden Erörterungen: 
1. Es ist oben bereits hervorgehoben worden, daß die staats- 
rechtliche Bedeutung des Urteils in der Ausstattung desselben mit 
Rechtskraft besteht, d. h. in dem staatlichen Befehl, dem Urteil zu 
genügen, widrigenfalls die physische Macht des Staates dazu verwendet 
werden würde, das Urteil durchzuführen. Die Rechtskraft eines Ur- 
teils beruht auf der Zwangsgewalt, dem Herrscherrecht, des 
Staates und ist deshalb wie die Staatsgewalt selbst territorial be- 
grenzt; sie reicht nicht über das Gebiet des Staates hinaus, dem das 
Gericht angehört. Dies gilt auch dann, wenn zwei oder mehrere 
Staaten einen Rechtshilfevertrag abgeschlossen haben, durch welchen 
sie sich gegenseitig zur Vollstreckung rechtskräftiger Urteile verpflich- 
ten. Hier wirkt die »Rechtskraft«, welche ein Urteil in dem Gebiete 
des einen Staates erlangt hat, in den Gebieten der anderen Staaten nur 
prozessualisch,d.h.in dem Ausschluß einer nochmaligen richter- 
lichen Erörterung und Prüfung des Streits; sie besteht in der Aner- 
kennung und Ausdehnung des Rechtssatzes res judicata jus facit inter 
partes auch auf den Fall, daß ein ausländisches Gericht das Urteil ge- 
fällt hat. Dagegen wirkt sie nicht instaatsrechtlicher Richtung; 
rechtskräftig im letzteren Sinne, insbesondere vollstreckbar, wird 
das Urteil des auswärtigen Gerichts im Inland nur dadurch, daß das 
inländische Gericht es für vollstreckbar erklärt. Mag durch den Rechts- 
hilfevertrag hierzu auch eine weitreichende und an leicht erfüllbare 
Voraussetzungen geknüpfte Verpflichtung begründet sein, immer be- 
ruht die rechtsverbindliche Kraft und Vollstreckbarkeit des Urteils im 
Inlande auf dem Befehl der einheimischen, nicht dem der 
fremden Staatsgewalt. 
Dieser Grundsatz, der unter unabhängigen Staaten mit Notwendig- 
keit gilt, weil er aus dem Wesen der Souveränität der Staatsgewalt 
folgt, ist durch das bundesstaatliche Verhältnis der deutschen Staaten 
beseitigt und durch das Prinzip ersetzt worden, daß die (staatsrechtliche) 
Rechtskraft der Entscheidungen und Endurteile der ordentlichen Ge- 
richte sich auf das ganze Bundesgebiet erstreckt. Das Gleiche 
gilt hinsichtlich der Wirkungen der bei einem Gerichte eingetretenen 
Rechtshängigkeit, sowie in bezug auf die verpflichtende Kraft der zur 
Erledigung der Prozesse erforderlichen richterlichen Gebote oder Ver- 
bote an Personen, die sich im Bundesgebiet befinden !). 
Mithin übt jeder einzelne Staat eine Gerichtsbarkeit über das 
1) Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 189. (Hahn S. 168.) Kommis- 
sionsbericht S. 66 a. E. (Hahn S. 974.) Ueber die Konsequenzen dieses Prinzips auf 
dem Gebiet des Strafprozesses vgl. Löwe S. 23 (Vorbemerkung zum 2. Titel des 
Gerichtsverfassungsgesetzes Note 5-8. BenneckeS.34fg.; Ullmann S. 86.
	        
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