& 86. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. 409
Stellung des Antrages befugt ist. Aus der Ausdrucksweise des Reichs-
gesetzes, welches einen Antrag des »Bundesstaates« verlangt, kann
nicht gefolgert werden, daß die Bundesregierungen hierzu nicht
befugt seien; denn der Antrag wird in allen Fällen von der Landes-
regierung im Namen des Staates beim Bundesrat gestellt. Dem Bundes-
rat ist es zwar unbenommen, die Legitimation der betreffenden Regie-
rungen zu prüfen, er ist hierzu aber nicht verpflichtet, sondern er
kann die Verantwortung für den Antrag der Regierung überlassen.
Ist aber einmal die kaiserliche Verordnung gemäß 8 3, Abs. 2 cit. for-
mell ordnungsgemäß ergangen, so ist die Rechtsgültigkeit derselben
unabhängig von der Entscheidung der Frage, ob die betreffende Landes-
regierung den Antrag bei der Reichsregierung befugter oder unbefugter
Weise gestellt hat).
Von der Befugnis zur Stellung eines solchen Antrags haben Ge-
brauch gemacht hinsichtlich der in erster Instanz zur Zuständigkeit
der Generalkommissionen oder der diesen entsprechenden Behörden
gehörenden Rechtsstreitigkeiten über Gemeinheitsteilungen, Zusammen-
legungen von Grundstücken, Ablösungen usw. Preußen, Anhalt,
Weimar, Meiningen, beide Schwarzburg, Waldeck,
Schaumburg-Lippe, Koburg-Gotha°); ferner hinsichtlich der
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der Landesherren und der Mitglieder
des landesherrlichen Hauses Preußen, Hessen und Waldeck?).
2. In Strafsachen.
Das Reichsgericht ist zuständig:
a) Inerster und letzter Instanz für die Untersuchung und Ent-
scheidung in den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats, in-
sofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet
sind *). Hierdurch ist Art. 75 der Reichsverfassung aufgehoben worden,
durch welchen prinzipiell bereits die Gerichtsbarkeit des Reichs für
Strafsachen der bezeichneten Art anerkannt war’).
b) In zweiter und letzter Instanz zur Verhandlung und Ent-
scheidung über das Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde gegen
die Urteile und Entscheidungen der Konsulargerichte‘).
1) Vgl. Bd.1, S. 125 ff., Bd. 2, S. 50 fg. Auch die Protokolle der Reichstags-
kommission S. 433 (Hahn 645).
2) Kaiserl. Verordnung vom 26. September 1879, $ 1 (Reichsgesetzbl, S. 287) und
Verordnungen vom gleichen Tage S. 291 ff. Vorordnung vom 30. Oktober 1907.
3) Kaiserl. Verordnung vom 26. September 1879, $ 2 (Reichsgesetzbl. S. 288);
Verordnung von demselben Tage für hessische Sachen (S. 289); für waldecksche
Sachen 8 2 (S. 295).
4) Gerichtsverfassungsgesetz $& 136, Ziff. 1. Der erste Senat des Reichsgerichts
hat bei diesen Fällen die Funktionen der Strafkammer zu versehen, während das
Hauptverfahren vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenate stattfindet.
$ 138 a.a. O.
5) Vgl. hierzu die Motive des Gerichtsverfassungsgesetzes S. 149 ff. (Hahn
S. 137.)
6) Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit S 14.