Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

416 & 87. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe. 
geschlossenen Staatsverträge zur Anwendung kommen. Die letzteren 
sind kein Gegenstand des Reichsstaatsrechts. 
I. Rechtshilfe nach den Vorschriften des Gerichts- 
verfassungsgesetzes. 
1. Die Gerichtsbarkeit oder Gerichtsgewalt jedes deutschen ordent- 
lichen Gerichts erstreckt sich, wie S. 399 ff. ausgeführt wurde, auf das 
ganze Reichsgebiet und auf alle in demselben sich aufhaltenden Per- 
sonen; dagegen hat jedes Gericht einen räumlich abgegrenzten Amts- 
bezirk mit der Bedeutung, daß es Amtshandlungen außerhalb 
seines Bezirks regelmäßig nicht vornehmen darf!). Aus diesen bei- 
den Sätzen ergibt sich der Umfang, in welchem das Verlangen und 
die Gewährung von Rechtshilfe erforderlich sind. Alle Erkenntnisse, 
Entscheidungen und Verfügungen eines Gerichts sind für das ganze 
Reichsgebiet ebenso rechtswirksam wie für den speziellen Amts- 
bezirk des Gerichts; es bedarf daher keiner Vermittlung oder Bei- 
hilfe eines anderen Gerichts, um den gerichtlichen Befehlen oder Ur- 
teilen die Rechtswirksamkeit beizulegen. Demnach sind nicht bloß 
alle rechtskräftigen Urteile im ganzen Reichsgebiete vollstreckbar, son- 
dern jedes Gericht kann auch an Personen, die sich außerhalb seines 
Gebietes befinden, rechtsverbindliche Befehle erlassen, insbesondere 
Zustellungen und Ladungen, indem es sich zum Zweck der Behändigung 
seiner Verfügungen an den Adressaten der Post oder eines im Bezirk des 
Zustellungsortes bestellten Gerichtsvollziehers bedient; die Hilfe eines 
anderen Gerichts ist hierzu nicht erforderlich °). Dies ist der Sinn 
des $ 161 des Gerichtsverfassungsgesetzes: »Die Herbeiführung 
der zum Zwecke von Vollstreckungen, Ladungen und Zustellungen er- 
forderlichen Handlungen erfolgt nach Vorschrift der Prozeßordnungen 
ohne Rücksicht darauf, ob die Handlungen in dem Bundesstaate, wel- 
chem das Prozeßgericht angehört, oder in einem anderen Bundesstaate 
vorzunehmen sind.« 
Dagegen kann ein Gericht außerhalb seines Amtsbezirks nicht tätig 
werden, insbesondere keinen Augenschein einnehmen, keine Durch- 
suchungen vornehmen, keine Zeugen oder Sachverständigen abhören, 
1) Gerichtsverfassungsgesetz 8 167. 
2) Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 189 ff., 194 (Hahn 168, 171). 
Die Verwendung eines Gerichtsvollziehers ist dadurch erleichtert, daß Gerichte, Staats- 
anwaltschaften und Gerichtsschreiber wegen Erteilung eines Auftrages an einen Ge- 
richtsvollzieher die Mitwirkung des Gerichtsschreibers des Amtsgerichts in Anspruch 
nehmen dürfen, in dessen Bezirk der Auftrag ausgeführt werden soll. Es handelt 
sich hierbei um keine Rechtshilfe; die Vermittlung des Gerichtsschreibers soll nur 
dem Uebelstande abhelfen, daß das Gericht die Namen der Gerichtsvollzieher in an- 
deren Gerichtsbezirken häufig nicht kennt. Der vom Gerichtsschreiber beauftragte 
Gerichtsvollzieher gilt als unmittelbar von der requirierenden Behörde beauf- 
tragt. Gerichtsverfassungsgesetz $S 162. Endemann, Zivilprozeßordnung I, S. 155 
Vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen I, S. 236.
	        
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