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reich und Baden die Bestimmungen des Rechtshilfevertrages vom
16. April 1846 in Geltung stehen und auf die Beziehungen zwischen
Frankreich und Elsaß-Lothringen ausgedehnt worden sind').
Durch den internationalen Vertrag über den ZivilprozeB vom
17. Juli 1905 (Reichsgesetzbl. 1909, S. 409) ist unter den Vertragsstaaten
eine Rechtshilfe hinsichtlich der Zustellungen und der Vollstreckung
der Urteile über Prozeßkosten vereinbart worden ?).
$ 88. Die Gerichtsverfassung.
Da jede Prozeßordnung eine bestimmte Gerichtsverfassung zur
Voraussetzung hat und sich auf diese bezieht, so hat die Gesetzgebung
des Reiches bei Erlaß gemeinrechtlicher Prozeßordnungen auch die
Grundzüge der Gerichtsorganisation für das ganze Bundesgebiet ein-
heitlich regeln müssen. Um die Struktur und den Aufbau der Gerichts-
verfassung und den Platz, welchen die einzelnen Gerichte dabei ein-
nehmen, richtig würdigen und den Zusammenhang des Ganzen klar
übersehen zu können, ist es aber notwendig, daß man die Gerichts-
ordnung von zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet,
die man als den prozessualischen und den organisato-
rischen oder verwaltungsrechtlichen bezeichnen kann.
Von dem prozessualischen Gesichtspunkte aus erscheinen die Gerichte
als beschließende und erkennende Behörden und ihr gegen-
seitiges Verhältnis ergibt sich aus ihrer Zuständigkeit und ihrer Unter-
und Ueberordnung im Instanzenzuge. Vom organisatorischen Gesichts-
punkte aus betrachtet, sind die Gerichte administrative Bildungen,
Bestandteile des staatlichen Behördensystems, die zwar zu Zwecken
der Rechtspflege geschaffen und dieser Bestimmung gemäß eingerichtet
sind, die aber als solche gar keine oder wenigstens regelmäßig keine
prozessualen Funktionen ausüben. Es ergeben sich hiernach zwei
Systeme von Gerichten, je nachdem die letzteren nach prozessualen
oder nach organisatorischen Rücksichten gruppiert werden; beide Ord-
nungen stehen miteinander in einem engen Zusammenhang und be-
einflussen sich gegenseitig, sind aber doch voneinander verschieden.
Für den Zivil- und Strafprozeß hat jene, für das Staatsrecht diese Seite
der Gerichtsverfassung das überwiegende Interesse; in dem vom Reich
die Leistung der Rechtshilfe sind enthalten indem Zollkartell 8$ 17—24 (Reichs-
gesetzbl. 1892, S. 67).
1) Frankfurter Vertrag vom 11. Dezember 1871, Art. 18 (Reichsgesetzbl. 1872,
S. 20).
2) Vgl. das Gesetz vom 5. April 1909 (Reichsgesetzbl. S. 430). Besondere Ab-
machungen sind mit Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen getroffen worden.
Bekanntm. vom 16. August 1909 (Reichsgesetzbl. S. 907). Ferner mit Schweden, der
Schweiz, Oesterreich und Dänemark (Reichsgesetzbl. 1910 S. 456; 674; 871); mit Frank-
reich durch Vereinbarung vom 6. April 1911 (Reichsgesetzbl. S. 161); mit Bulga-
rien durch Vertrag vom 29. September 1911 (Reichsgesetzbl. 1913, S. 457).