Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 88. Die Gerichtsverfassung. 429 
II. Die Organisation der Gerichte. 
Das Gerichtsverfassungsgesetz $ 12 zählt vier Arten von ordent- 
lichen Gerichten auf: Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte 
und das Reichsgericht. Diese Gerichte als solche sind aber keine be- 
schließenden und erkennenden Organe der ordentlichen Rechtspflege !), 
sie sind keine Gerichte im eigentlichen und engen Sinne des Prozeß- 
rechts, sondern sie sind staatliche Behörden, bei welchen die Pro- 
zeßgerichte gebildet werden oder aus deren Mitte die Prozeßge- 
richte hervorgehen. Man könnte sie gleichsam die Kadres nennen, 
innerhalb deren die erkennenden Gerichte zur Entstehung kommen. 
Damit soll aber keineswegs gesagt werden, daß die Behörden nur für 
die Justizverwaltung Bedeutung haben. Diese Organisationen sind 
vielmehr auch für das Prozeßrecht von der größten Wichtigkeit. Durch 
dieselben wird bewirkt, daß die einzelnen von den Prozeßordnungen 
erforderten Gerichte nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern zu 
größeren einheitlichen Behörden zusammengefaßt werden, so daß die 
Zuständigkeit der Einzelrichter und Spruchkollegien im Verhältnis zu 
der sie umfassenden Gerichtsbehörde lediglich als eine Verteilung 
derGeschäfte, als eine innere Angelegenheit der letzteren erscheint. 
Die Prozeßordnungen und andere Gesetze können demgemäß die rich- 
terlichen Geschäfte den Gerichten als solchen auftragen und die letzteren 
nach Außen als einheitliche Anstalten des Staates behandeln. Dadurch 
wird die Gerichtsverfassung wesentlich vereinfacht; die vielen, nach den 
verschiedenen Arten von Streitsachen so verschieden konstituierten 
Prozeßgerichte verschwinden unter dem gemeinsamen Namen und der 
einheitlichen Organisation der erwähnten Gerichtsanstalten; sie 
sind gleichsam nur »Erscheinungsformen«, in denen die letzteren tätig 
werden. Eine Hauptwirkung dieser Einrichtung besteht darin, daß die 
örtliche Zuständigkeit der Gerichte ohne Rücksicht auf die Bildung 
der verschiedenen Spruchbehörden einheitlich geregelt werden kann; 
die Gerichtsbezirke entsprechen den im $ 12 aufgeführten »Ge- 
richtene. Man kann daher z.B. nicht von einem Gerichtsbezirk der 
Zivilkammer, sondern nur von einem Gerichtsbezirk des Landgerichts 
sprechen, während andererseits die sachliche Zuständigkeit genau ge- 
nommen nicht für das Landgericht, sondern für seine verschiedenen 
Kammern normiert ist. 
So erscheinen die Gerichte, wie sie $ 12 cit. aufführt, als diejenigen 
Behörden, welche die staatliche Gerichtsgewalt handhaben, und in 
diesem Sinne sagt das erwähnte Gesetz mit Recht: »Die ordentliche 
1) Außerhalb des Gebietes der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit können 
den Gerichten Geschäfte zugewiesen werden, welche durch Verhandlungen und Be- 
schlußfassungen in pleno zu erledigen sind. Plenarbeschlüsse des Reichsgerichts 
sind erforderlich in den Fällen der $$ 128, 129, 131 des Gerichtsverfassungsgesetzes, 
sowie zur Erledigung der im $ 141 ebendaselbst gestellten Aufgabe (Ausarbeitung 
der Geschäftsordnung).
	        
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