8 88. Die Gerichtsverfassung. 433
bei allen Landgerichten gebildet werden!). Die Zahl der zu bilden-
den Kammern hängt ebenso wie die Größe des Landgerichtsbezirks
von der Anordnung der Einzelstaaten ab. Welche Geschäfte den
Zivilkammern und welche den Strafkammern obliegen, istin den Prozeß-
ordnungen bestimmt. An der Spitze des Landgerichts steht der Präsi-
dent, der zugleich den Vorsitz in einer Kammer übernimmt; den Vorsitz
in den übrigen Kammern führen Direktoren. Die Mitglieder können
gleichzeitig Amtsrichter im Bezirke des Landgerichts sein?). Bei der
Bildung der einzelnen Kammern kommt nun dreierlei in Betracht:
die Bestimmung des Vorsitzenden, die Bestimmung der Mitglieder und,
falls mehrere Kammern derselben Art gebildet werden, die Verteilung
der Geschäfte unter dieselben.
a. Der Vorsitz in den einzelnen Kammern wird für das ganze
Geschäftsjahr im voraus bestimmt; der Präsident ist befugt, die
Kammer zu wählen, welcher er vorsitzen will, die Verteilung des Vor-
sitzes in den übrigen Kammern erfolgt durch den Präsidenten und
die Direktoren nach Stimmenmehrheit, indem die Stimme des Präsi-
denten im Falle der Stimmengleichheit den Ausschlag gibt°’). Ist der
ordentliche Vorsitzende einer Kammer verhindert, den Vorsitz zu führen,
so vertritt ihn dasjenige Mitglied der Kammer, welches dem Dienst-
alter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach der älteste
istt). Daher ist es ausgeschlossen, daß der Präsident oder Direktor
im Laufe des Geschäftsjahres in einer anderen Kammer als der ihm
zugeteilten den Vorsitz in einzelnen Sachen übernimmt oder mit einem
anderen Vorsitzenden die Kammer wechselt’).
B. Vor Beginn des Geschäftsjahres werden auf die Dauer desselben
die ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern, sowie für den Fall
ihrer Verhinderung die regelmäßigen Vertreter bestimmt. Jeder
Richter kann zum Mitgliede mehrerer Kammern bestimmt werden).
Da jede Willkür in der Zusammensetzung der Beschluß- und Spruch-
kollegien für den einzelnen Fall ausgeschlossen sein soll, so sind diese
Anordnungen so zu verstehen, daß für jedes einzelne ständige Mitglied
ein bestimmter Vertreter bestellt wird, und daß auch die Reihenfolge
1) Gerichtsverfassungsgesetz $ 59.
2) Gesetz vom 1. Juni 1909 Art. I Ziff. 2. (Reichsgesetzbl. S. 475).
3) Gerichtsverfassungsgesetz 861. Wenn die Direktoren, nachdem der Präsident
seine Wahl getroffen, über die Zuteilung der übrigen Kammern sich untereinander
verständigen, kann demnach der Präsident nicht widersprechen.
4) A. a. 0. 8 65, Abs. 1. Vom Vorsitz ausgeschlossen ist daher ein zur Vertre-
tung des ständigen Vorsitzenden der Kammer zugewiesener Ergänzungsrichter,
auch wenn derselbe dem ältesten ordentlichen Mitgliede der Kammer im Dienstalter
vorgeht. Urteil des Reichsgerichts vom 2. März 1880. Entsch. in Straf-
sachen I, S. 238.
5) Auch ist es für ausgeschlossen zu erachten, daß jemand den Vorsitz in meh-
reren Kammern führt. Vgl. Hauck, Gerichtsverfassungsgesetz S. 99 ff.
6) A. a. 0.8 62, Abs. 1.