$ 91. Der Gerichtsdienst. 477
Hierdurch ist ausgeschlossen, daß ein Richter wider seinen Willen
»im Interesse des Dienstes«, d. h. nach Belieben der Verwaltungs-
behörden oder aus Zweckmäßigkeitsrücksichten, versetzt oder aus dem
Dienste entlassen werde; es ist zu jeder Veränderung seiner dienst-
lichen Stellung im Wege der Verwaltungsverfügung seine Einwilligung
erforderlich. Eine Ausnahme hiervon ist nur für den Fall einer Ver-
änderung in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke aner-
kannt; bei einer Gerichtsreorganisation sind die Landesjustizverwal-
tungen befugt, unfreiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht, auch
niederer Ordnung, oder Entfernungen vom Amte, jedoch immer nur
unter Belassung des vollen Gehaltes, zu verfügen !).
Es ist ferner durch die angeführten Bestimmungen des 5 8 den
Einzelstaaten eine gewisse Schranke gezogen hinsichtlich der Regelung
der Disziplinarverhältnisse; die Richter sind vor Willkürlichkeiten der
Justizverwaltung geschützt und haben im Falle einer Disziplinarver-
folgung einen Anspruch auf rechtliches Gehör und auf richterliche
Entscheidung?). Dagegen fehlt es an einer materiell gleichmäßigen
Regelung des Disziplinarrechtes für die richterlichen Beamten; das
Reichsgesetz hat nicht einmal die allgemeinsten Grundprinzipien dar-
über aufgestellt, weder über die Gründe, aus denen Suspension, Ver-
setzung oder Entlassung zulässig ist, noch über das Disziplinarverfahren,
noch endlich über die Bildung und Zusammensetzung der richterlichen
Disziplinarbehörden. In allen diesen Beziehungen ist die Autonomie
der Einzelstaaten eine sachlich ganz unbeschränkte und nur an die
formale Schranke gebunden, daß der Weg der Gesetzgebung inne-
gehalten werde.
Endlich ist hervorzuheben, daß die Tragweite des $ 8 nicht so
weit reicht als sein Wortlaut zu sagen scheint; er bezieht sich nur auf
ein disziplinarisches Einschreiten und läßt die anderweitigen
Vorschriften über die unfreiwillige Versetzung oder Entlassung der
Richter aus ihrem Amte unberührt; so namentlich die Anordnung,
daß gewisse Verwandte oder Verschwägerte nicht Mitglieder desselben
Gerichts sein können ?) und daß also, wenn Mitglieder eines Gerichts
eine clausula bajuvarica. Vgl. die Verhandlungen der Reichstagskommission, Proto-
koll II. Lesung S. 569 ff. (Hahn S. 748 ff.) und S. 758 (Hahn S. 892). Gegenwärtig ist
die Bestimmung gegenstandslos geworden durch das bayerische Disziplinargesetz für
richterliche Beamte vom 26. März 1881. Vgl. Seydel, Bayer. Staatsrecht Il, S. 288 fg.
1) Ebendaselbst $ 8, Abs. 3. Eine Uebergangsbestimmung für die ersten zwei
Jahre nach dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes gab das Einführungs-
gesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz S 21.
2) Jedoch nur, sofern es sich um Versetzung oder Entlassung aus dem Amte
handelt; über die Verhängung anderer Disziplinarstrafen (Verweise, Geldstrafen) hat
das Reichsgesetz gar keine Bestimmung getroffen, durch welche den Einzelstaaten
eine Norm vorgeschrieben worden wäre.
3) Vgl. z. B. bayer. Ausführungsgesetz vom 23. Februar 1879, Art. 5; hessisches
Gesetz vom 31. Mai 1879, Art. 2; Mecklenburg-Schwerin 8 73; Mecklenburg-Strelitz
S 67; Lübeck $ 5. Hinsichtlich Elsaß-Lothringens siehe Keller Note 4 zu $8 des