Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

488 S 92. Die Zeugenpflicht. 
suchung von Seeunfällen zur Vernehmung von Zeugen befugt. Ueber 
die Zeugenpflicht finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung ent- 
sprechende Anwendung. Die Festsetzung und Vollstreckung von 
Strafen gegen Zeugen sowie die Vorführung eines nicht erschienenen 
Zeugen erfolgt aber auf Ersuchen durch das zuständige Gericht!). 
d) In dem Verwaltungsstrafverfahren wegen Zuwider- 
handlungen gegen die Steuer-, Zoll- und Abgabengesetze besteht die 
Pflicht zur Zeugnisablegung. Auf Ersuchen haben die Amtsgerichte 
Zeugen eidlich zu vernehmen. Die Vorschriften der Strafprozeßordnung 
finden Anwendung’). 
e) Die Ehrengerichte derRechtsanwaltskammern 
haben die Befugnis zur Vernehmung von Zeugen und es besteht ihnen 
gegenüber die Zeugenpflicht in dem durch die Strafprozeßordnung 
normierten Umfang); die Verhängung von Zwangsmaßregeln und die 
Festsetzung von Strafen zur Durchführung der Zeugenpflicht erfolgt 
aber auf Ersuchen durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk der 
Zeuge seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat‘). 
f} Das Börsenehrengericht ist berechtigt, Zeugen vorzu- 
laden und eidlich zu vernehmen; es hat jedoch keine Zwangs- oder 
Strafgewalt zur Erfüllung der Zeugenpflicht; die Gerichte sind aber 
verpflichtet, dem Ersuchen des Ehrengerichts und der Berufungs- 
kammer zu entsprechen °). 
9. Es ist mehrfach die Behauptung aufgestellt worden, daß durch 
8 40 des Rechtshilfegesetzes eine allgemeine, durch die Gerichte 
geltend zu machende Zeugenpflicht begründet sei. Das erwähnte 
Gesetz lautet: »Jeder (Nord)Deutsche ist verpflichtet, auf Anordnung 
des Zivil- oder Strafgerichts vor demselben zum Zwecke seiner Ver- 
nehmung als Zeuge zu erscheinen, auch wenn er einem anderen 
Bundesstaate angehört.« Würde diese Bestimmung in der Tat die Be- 
deutung haben, daß man verpflichtet ist, jeder Anordnung eines Ge- 
richts, sich als Zeuge vernehmen zu lassen, nachzukommen, so wäre 
die Zeugenpflicht ihrem Umfange nach eine unbeschränkte und nur an 
die formelle Voraussetzung gebunden, daß ihre Erfüllung durch ein Ge- 
richt geltend gemacht werde. Mit anderen Worten: jede Behörde 
irgendwelcher Art könnte in allen Angelegenheiten, gleichviel was sie 
betreffen, jeden Deutschen zur Zeugenaussage zwingen, indem sie sich 
zu diesem Behufe an das zuständige Gericht wendet und dasselbe um 
die Vernehmung des Zeugen ersucht. Die vorstehend unter Ziff. 8 
aufgeführten Fälle wären nur einzelne Anwendungen eines ganz allge- 
meinen Prinzips des Öffentlichen Rechts. In dieser Beziehung ist nun 
1) Gesetz betreffend die Untersuchung von Seeunfällen vom 27. Juli 1877, 
88 19, 30 (Reichsgesetzbl. S. 533, 555). 
2) Reichsgesetz vom 9. Juni 1895, 8 8 (Reichsgesetzbl. S. 257). 
3) Rechtsanwaltsordnung 88 66, 86. 4) Rechtsanwaltsordnung 8 87. 
5) Börsengesetz 8 14, Abs. 2; $ 26.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.