Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

8 93. Das Begnadigungsrecht. 507 
oder Irrtümer des Gerichts, welche im Prozeßwege nicht beseitigt wer- 
den können, unschädlich zu machen, so ist dies ein für den Begriff 
des Gnadenaktes unerhebliches Motiv!). 
3. Die Begnadigungist vielmehr eine Regierungs- 
handlung, die Ausübung der obersten staatlichen Macht, durch 
welche in den geordneten und regelmäßigen Gang der Rechtspflege 
eingegriffen wird. Die Begnadigung ist ein Befehl, der eine Hand- 
lung oder Unterlassung zum Inhalt hat. Die Niederschlagung ist der 
Befehl, daß eine Strafverfolgung unterbleiben oder nicht fortgesetzt 
werden soll; die Begnadigung im engeren Sinne ist der Befehl, daß 
eine Strafe nicht vollstreckt oder nur teilweise vollstreckt oder durch 
eine mildere Strafe ersetzt werden soll?). 
Hiermit ist aber die rechtliche Natur der Begnadigung noch nicht 
vollkommen charakterisiert. Der Begnadigungsbefehl ist kein ge- 
wöhnlicher Verwaltungsbefehl, sondern ein eigentümlich gearteter. 
Die Prozeßordnung schafft für sehr zahlreiche Verwaltungsakte Raum, 
welche in ihrer Wirkung einer Begnadigung nahekommen können, 
trotzdem aber unter den Begriff der letzteren nicht zu bringen sind. 
1) Vgl. die treffliche Ausführung Merkelsa..a. O. S. 250 ff. 
2) Binding S. 863 sagt: „Die Gnade ist Rechtsverzicht, also publizistisches 
Rechtsgeschäft.“ Die Begnadigung ist allerdings ein publizistisches Rechtsgeschäft, 
aber nicht weil sie Rechtsverzicht, sondern weil sie Verwaltungsakt ist — wie El- 
saß S. 26, Anm. 19 sehr richtig bemerkt. Die Charakterisierung als „Rechtsverzicht“ 
ist aber auch an sich nicht zutreffend und nicht geeignet, irgendeine Aufklärung 
über das Wesen der Gnade zu geben. Da, wie Binding ausführt, der Staat die 
Pflicht zur Strafverfolgung und zur Vollstreckung des Strafurteils hat, ja nach seiner 
Auffassung (S. 196) die Eigentümlichkeit des Strafurteils gerade darin bestehen soll, 
daß es beide Parteien verurteilt, nämlich den Inhaber der Strafgewalt zum 
Strafvollzug (!), den Verurteilten zur Strafduldung, so wäre die Begnadigung ein 
Verzicht auf Erfüllung einer, durch gerichtliches Urteil festgestellten Pflicht, ein 
gewiß höchst sonderbarer Verzicht. Auch wirkt der Gnadenakt nicht immer bloß 
negativ, sondern er kann auch positive Wirkungen haben. Die im Wege der Gnade 
erfolgende Umwandlung einer Strafe in eine mildere Strafart, z. B. einer Gefängnis- 
strafe in Festungsstrafe, ist nicht bloß „Verzicht“ auf Abbüßung der ersteren, son- 
dern zugleich der Befehl zur Vollstreckung der letzteren. Binding, Grundriß 
8 110, bemerkt, daß der gegen seine Ansicht erhobene Einwand „mit der ungenü- 
genden Ausbildung des allgemeinen Teils der Rechtswissenschaft zusammenhängt“. 
Darüber ist an dieser Stelle eine Auseinandersetzung nicht tunlich. — Auch Heim- 
berger S. 10 sieht in der Abolition einen Verzicht auf die Ausübung des Straf- 
rechts und rechtfertigt dies damit, daß wenn dem Herrschenden das Recht zusteht 
im Einzelfalle das Strafrecht nicht auszuüben, für ihn „in diesem Falle“ eben keine 
Pflicht zu strafen bestehe. Wo aber das Abolitionsrecht besteht, ist seine Ausübung 
soweit nicht besondere Ausnahmen oder Einschränkungen gemacht smd, in allen 
Fällen zulässig; die Gnade ist der Regel nach an rechtliche Schranken nicht ge- 
bunden. Hiernach gäbe es überhaupt keine staatliche Pflicht zu strafen, wo das Be- 
gnadigungsrecht in Geltung ist; denn eine Pflicht, von welcher der Verpflichtete 
sich nach eigenem Gutdünken befreien kann, ist keine Rechtspflicht. Wird die Pflicht 
zu strafen im einzelnen Falle erst durch die Begnadigung aufgehoben, so kann nicht 
umgekehrt das Fehlen der Strafpflicht wieder die Zulässigkeit der Begnadigung be- 
gründen.
	        
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