Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

508 8 93. Das Begnadigungsrecht. 
Der von dem Chef der Justizverwaltung oder dem ÖOberstaatsanwalt 
erteilte Dienstbefehl, eine gewisse Anklage nicht zu erheben oder nicht 
weiter zu verfolgen oder auf Freisprechung anzutragen oder gegen 
ein freisprechendes Urteil kein Rechtsmittel einzulegen, kann tatsäch- 
lich einer Niederschlagung gleichkommen. Ja, es kann ein solcher 
Dienstbefehl sich auf ganze Kategorien von Straftaten beziehen und 
wie eine Amnestie wirken'!). Andererseits kann die vorläufige Ent- 
lassung eines Verurteilten auf Grund des 8 25 des Strafgesetzbuches 
oder der Aufschub einer Strafvollstreckung auf Grund der 88 487, 488 
der Strafprozeßordnung im tatsächlichen Erfolge einer Begnadigung 
im engeren Sinne nahe oder gleichkommen. Dessenungeachtet kann 
in allen diesen Fällen von einer Begnadigung nicht die Rede sein, und 
zwar nicht wegen ihrer besonderen Voraussetzungen und beschränk- 
teren Wirkungen?), sondern wegen eines prinzipiellen Unter- 
schieds. Die hier erwähnten Befugnisse der Verwaltung sind in den 
Rahmen des Strafverfahrens mit aufgenommen ; sie bilden einen regel- 
mäßigen Bestandteil desselben ; sie verbinden sich mit den Befug- 
nissen und Pflichten der Gerichte zu einem planmäßig geordneten 
Ganzen. Die Strafrechtspflege erscheint gerade wegen des wichtigen 
Anteils, welcher der Staatsanwaltschaft und folglich der Justizverwal- 
tung eingeräumt ist, indem ihr Strafverfolgung und Strafvollstreckung 
zugewiesen sind, nicht als ein ausschließlich der Gerichtsbarkeit ange- 
höriges Gebiet, sondern als ein der Gerichtsbarkeit und Verwaltung 
gemeinsames. Soweit auf diesem Gebiete die Zuständigkeit der Ver- 
waltung reicht, entfaltet sich auch der Dienstbefehl der vorge- 
setzten Verwaltungsbehörde mit derselben Kraft und Wirkung wie 
auf irgendeinem anderen Verwaltungsgebiet. Insoweit ist für die 
Begnadigung kein Bedürfnis und regelmäßig auch kein Raum vor- 
handen. 
Der Gnadenakt ist ein außerordentlicher, im Verfassungs- 
recht zwar zugelassener, aber im Prozeßrechtnicht geregel- 
ter Verwaltungsakt; er steht außerhalb der durch das Gesetz gege- 
benen Ordnung des Strafverfahrens; er ist nicht wie alle anderen Ver- 
waltungsbefehle ein Befehl intra legem oder secundum legem, sondern 
er ist ein Befehl contra legem°®). Der Gesetzesbefehl des $ 152 der 
  
1) So wird z. B. öfters bei Einführung eines neuen Gesetzes den Staatsanwalt- 
schaften für die erste Zeit, bis das Gesetz sich im Verkehr eingebürgert hat, Ent- 
haltsamkeit betreffs der Strafverfolgungen anempfohlen, sowie andererseits Ueber- 
tretungen veralteter, den Lebensverhältnissen nicht mehr entsprechender Strafge- 
setze mit Zustimmung oder auf Anordnung der Justizverwaltung unverfolgt bleiben 
können. 
2) Vgl. hierüber Elsaß S. 106 fg. 
3) Heimberger S. 11 bemerkt, daß der Befehl nur eine Form sei, in wel- 
cher die Begnadigung erteilt werde, aber ihr inneres Wesen noch nicht erklärt. Ich 
halte das Gegenteil für richtig. Auf die Befehlsform kommt es nicht an, und es 
gibt überhaupt keine spezifische Befehlsform. Die rechtswirksame Anordnung,
	        
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