Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

516 & 98. Das Begnadigungsrecht. 
Durch diesen Grundsatz werden bei seiner Einfachheit und Klar- 
heit alle Streitfragen vermieden'.,. Ausgenommen ist nur der Fall, daß 
nachträglich eine Gesamtstrafe an Stelle der von Gerichten anderer 
Staaten erkannten Strafen festgesetzt wird (Strafgesetzb. $ 79, Straf- 
prozeßordn. 88 492 ff.). Hier ist es zweifelhaft und bestritten, ob das 
Begnadigungsrecht anteilsmäßig denjenigen Staaten verbleibt, denen 
es hinsichtlich der Einzelstrafen zugestanden hat, oder ob es auf den- 
jenigen Staat übergeht, dessen Gericht die Gesamtstrafe festgesetzt hat. 
Diese Frage beantwortet sich nach der Ansicht, welche man über das 
Verhältnis zwischen dem die Gesamtstrafe festsetzenden Urteile zu den 
früheren, die Einzelstrafen festsetzenden Urteilen für die richtige hält, 
ist also eine rein prozessualische und kann daher hier unerörtert 
bleiben ?). 
2. Die Niederschlagung einer Strafsache ist der Befehl an 
die mit der Strafverfolgung betrauten Behörden, mit Einschluß der 
Gerichte, den Täter nicht zu verfolgen oder — falls die Untersuchung 
schon im Gange ist — ihn nicht weiter zu verfolgen®). Wenn nun zur 
Strafverfolgung nur die Behörden (Gerichte) eines Staates zuständig 
sind, so ist jede Möglichkeit einer Kollision zwischen den Hoheits- 
rechten mehrerer Staaten vollständig ausgeschlossen; eine wirksame 
Niederschlagung kann nur von dem Landesherrn desjenigen Staates 
erteilt werden, dessen Gerichte zuständig sind, sie ist aber auch zur 
vollständigen Sicherstellung des Begnadigten vor jeder Strafverfolgung 
ausreichend. Wenn aber nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung 
wegen einer und derselben strafbaren Handlung Gerichte verschie- 
dener Staaten in erster Instanz zuständig sind, so ist die Strafver- 
folgung bei jedem dieser Gerichte zulässig, bis eines derselben die 
Untersuchung eröffnet hat. Strafprozeßordnung $ 12. Durch die Er- 
öffnung der Untersuchung bei einem zuständigen Gericht (Prävention) 
erlischt die Zuständigkeit aller anderen Gerichte‘). 
Hieraus ergibt sich, daß hinsichtlich der Wirkung der Nieder- 
schlagung folgende Fälle zu unterscheiden sind?): 
1) Vgl. jedoch über einzelne Zweifel, die bei den gemeinschaftlichen Gerichten 
entstehen können, v. Kries, Strafprozeßrecht S. 109 fg. 
2) Vgl. über die verschiedenen Ansichten Löb S. 50 ff.; Löwe S. 26, Note 12 
a. E.; Binding S. 877; Elsaß S. 124; H. Meyer S. 392. Grundlos behauptet 
Bindinga.a.O., Anm. 21, daß der Bundesratsbeschluß vom 11. Juni 1885 über die 
Vollstreckung von Gesamtstrafen (siehe oben S. 419) auch für das Begnadigungsrecht 
von Bedeutung sei. Vgl. darüber Löwe S. 133; Elsaßa.a. O. 
3) Eine gute und zuverlässige Uebersicht der in den einzelnen deutschen Bun- 
desstaaten hinsichtlich der Abolition geltenden Rechtssätze und deren praktische 
Handhabung gibt Heimberger S. 45ff.; ferner Fleischmann S. 51 ff. 
4) Löwe Note 5 zu S 12 (S. 222); John L S. 250; GlaserIlJ S. 163. 
5) Heimberger S.89 ff. gibt jetzt eine sorgfältige und scharfsinnige Erörte- 
rung dieser Lehre. Da er von einer anderen Grundauffassung des Wesens der Abo- 
lition ausgeht wie ich, so kommt er zu teilweise anderen Ergebnissen. Er sieht in 
der Abolition nicht nur einen Verzicht auf den staatlichen „Strafanspruch“, sondern
	        
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