Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

518 & 93. Das Begnadigungsrecht. 
Erteilung der Abolition eine Uebertragung der Sache auf das Gericht 
eines anderen Staates gemäß $ 12, Abs. 2 der Strafprozeßordnung er- 
folgt ist, so geht das alleinige Abolitionsrecht mit Wirkung für das 
ganze Reichsgebiet auf diesen anderen Staat über’). 
d) Wenn ein Landesherr in einer Sache, in welcher ein Gericht 
seines Staates in erster Instanz erkannt hat, die Niederschlagung ver- 
fügt, während die Sache in der Berufungsinstanz bei einem gemein- 
schaftlichen Oberlandesgericht schwebt, so ist die Abolition zweifel- 
los wirksam; denn die gemeinschaftlichen Oberlandesgerichte sind 
gemeinsame Gerichte der beteiligten Staaten und leiten ihre Befugnisse 
aus der Staatsgewalt dieser ab, nicht aus einer ihnen übergeordneten 
Gewalt. Dagegen ist es bestritten, ob der Landesherr, dessen Gericht 
in erster Instanz erkannt hat, wirksam die Strafverfolgung nieder- 
schlagen kann, wenn die Sache in der Revisionsinstanz beim Reichs- 
gericht schwebt. Das Reichsgericht hat in der oben zitierten Ent- 
scheidung vom 6. Juni 1896 (Entsch. in Strafs. Bd. 28, S. 419) die Frage 
verneint, weil es nicht ein gemeinsames Gericht der Bundesstaaten, 
sondern ein Gericht des Reichs als einer den einzelnen Staaten über- 
geordneten, selbständigen Staatsgewalt ist, die Landesherren der Bundes- 
staaten ihm daher keine rechtswirksamen Befehle erteilen können ’). 
In einer Entscheidung vom 12. März 1900°) hat dagegen derselbe Senat 
angenommen, daß der Landesherr auch dem Reichsgericht gegenüber 
das Abolitionsrecht wirksam ausüben dürfe, weil der dem Richter von 
Staats wegen erteilte Auftrag, im einzelnen Falle das Recht zu finden, 
erledigt und gegenstandslos geworden sei, sobald die maßgebende In- 
stanz eine Erklärung dahin abgegeben hat, daß sie »den staatlichen 
Strafanspruch« nicht geltend machen wolle‘®). 
schlagung in einem Staate die Sache nach $ 12, Abs. 2 der Strafprozeßordnung einem 
Gerichte eines anderen Staates übertragen werde, fügt aber selbst hinzu: „Ein Anlaß 
zur Uebertragung wird freilich hier nicht füglich eintreten können.“ In der Tat be- 
steht der Zweck dieser Vorschrift nur in einer Erleichterung des Verfahrens, nicht 
in einer Verkümmerung des Begnadigungsrechts. Motive S. 132. — Ueber prozes- 
sualische Fragen im Falle der Konnexität vgl. Elsaß S. 132 fg. 
1) H. Seuffert S. 152. 
2) Zustimmend Löwe-Hellweg, Strafprozeßordnung S. 26; Bennecke, 
Strafprozeßordnung & 12, Note 17; G. Meyer, Staatsrecht S. 575. 
3) Die Entsch. ist auch abgedruckt bei Reger, Ergänzungsband II, S. 132 ff. 
und bei HeimbergerS. 128ff., der ihr zustimmt. 
4) Von dem entgegengesetzten Grundsatz geht die oben S. 388 erwähnte Ent- 
scheidung hinsichtlich der Erhebung des Kompetenzkonflikts aus. In dem letzteren 
Falle hat aber die Reichsgesetzgebung selbst den Einzelstaaten das Recht 
erteilt, den Rechtsweg auszuschließen, also auch die Zuständigkeit des Reichsgerichts, 
solange es noch nicht endgültig entschieden hat. Im übrigen aber enthalten die 
reichsgesetzlichen Regeln über die Zuständigkeit der Gerichte einen solchen Vorbe- 
halt zugunsten der Einzelstaaten nicht. Da nun die Einzelstaaten nicht befugt sind, 
dem Reichsgericht Befehle zu erteilen und ihm die Entscheidung einer bei ihm an- 
hängigen Strafsache zu verbieten, so ist nach meiner Ansicht die von einem Landes-
	        
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