$ 9%. Allgemeine Prinzipien. /
besondere hinsichtlich des Militärwesens. Kein Staat ist befugt, seine
Armee nach eigenem Belieben zu organisieren, zu bewaffnen, auszu-
bilden usw., sondern das Reich erteilt die Vorschriften, nach denen
dies geschehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung, die Rekru-
tierung, die Qualifikation und das Dienstrechtsverhältnis der Offiziere,
der Einfluß des Militärverhältnisses auf andere Rechtsverhältnisse, das
Militärstrafrecht, -prozeß-, -disziplinarrecht, die Verpflegung und Aus-
rüstung, die Militärlasten usw., mit einem Worte die gesamte Ein-
richtung des Heerwesens, wird vom Reich normiert; Gesetzgebung und
im praktischen Resultat auch die Verordnungsgewalt in Armeeange-
legenheiten werden vom Reich ausgeübt. Die Einzelstaaten sind for-
mell die Subjekte der Militärhoheit, aber Inhalt und Umfang derselben
bestimmt das Reich ; jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsver-
fassung) eine Armee für sich, aber nicht nach eigenem Belieben, son-
dern nur eine so beschaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das
Reich ihm befiehlt'). Ferner: die Landesherren sind die Kontingents-
herren, Mannschaften und Offiziere stehen zu ihnen im militärischen
Dienstverhältnis, sind ihnen zu militärischer Treue verbunden und
leisten ihnen den Fahneneid; aber der Kaiser hat den Oberbefehl, das
Recht auf Gehorsam, das Recht, die obersten Kommandos zu besetzen
und die Befugnis, die einzelnen Kontingente zu inspizieren und die
Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen. Die Kontin-
gente sind formell Machtmittel der Einzelstaaten, materiell Macht-
mittel des Reiches; sie gleichen einem Vermögen, das dem Einen ge-
hört, über das der Andere aber die Verfügung hat. Endlich steht den
Einzelstaaten zwar die Verwaltung ihrer Kontingente zu, aber dieselbe
Heer ein Einheitsheer oder ein Kontingentsheer sei, ist ein Lieblingsthema juristischer
Doktordissertationen, die teils wegen ihrer großen Zahl, teils wegen ihres geringen
Wertes hier nicht aufgeführt werden können. Eine Ausnahme macht die Schrift von
Burhenne, Die Kontingentsherrlichkeit der deutschen Landesherren. Berlin 1908.
Der Ansicht von Walter Felix Müller, Die Teilung der Militärgewalt, Leipz. 1905,
daß das deutsche Heer weder ein Reichsheer noch ein Kontingentsheer, sondern teils
das eine, teils das andere sei, ist keine Lösung der Frage. Auch der Versuch von
Jost, Die staatsrechtl. Theorien über die Natur des Heeres (Leipz. Dissertation 1908),
eine Mittelmeinung zu begründen, nach welcher das D. Heer zwar ein Reichsheer
sei, in welchem aber neben der Reichsgewalt noch „in mannigfaltiger Zuständigkeit
die Staatsgewalt der Einzelstaaten wirkt“, ist m. E. verfehlt; denn sie beruht im
wesentlichen auf der Abschätzung, daß die Rechte des Reichs (Kaisers) von größerer
tatsächlicher Bedeutung sind als die der Einzelstaaten.
1) Die Einzelstaaten dürfen auch nicht neben ihrem reichsverfassungsmäßigen,
zum Reichsheer gehörigen. Kontingent noch besondere Landestruppen haben, und
daraus folgt, daß die militärisch organisierten Landgendarmerien und Schutz-
mannschaften nicht als Truppenkörper anzusehen sind und die Vorschriften der
Militärgesetze auf sie keine-Anwendung finden. Vgl. auch das Urteil des Reichs-
gerichts vom 4. Mai 1899, Entsch. in Zivilsachen Bd. 44, S. 191. Jedoch können sie
landesgesetzlich der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstellt werden. Einführungs-
gesetz zur Militärstrafgerichtsordnung $ 2, Abs. 3.