Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

116 $ 104. Die Militärverwaltung. 
vember 1867), die württembergische vom 20. Juli 1818 und die baye- 
rische vom 29. April 18692). Auch in der Marine ist die preußische 
Strafgerichtsordnung tatsächlich angewendet worden, obgleich sie nie- 
mals gesetzlich eingeführt worden ist?). Diese landesgesetzlichen Vor- 
schriften sind nun durch die Militärstrafgerichtsordnung 
für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898 aufgehoben und durch 
formell gemeines, einheitliches Reichsrecht ersetzt worden. Die Mili- 
tärstrafgerichtsordnung regelt sowohl die Gerichtsordnung als das Straf- 
verfahren. Während das Strafverfahren der bürgerlichen Strafgerichts- 
prozeßordnung, wenngleich mit erheblichen und zahlreichen Abwei- 
chungen in den Einzelheiten, nachgebildet ist, unterscheidet sich die 
Militärgerichtsverfassung von der bürgerlichen Strafgerichtsverfassung 
durchaus. 
1. Die wesentlichste Abweichung, welche für die Militärge- 
richte das charakteristische Merkmal bildet und sie zu allen 
anderen Gerichten in einen Gegensatz stellt, ist die Unterscheidung 
des Gerichtsherrn und des erkennenden Gerichts. Diese 
Trennung entspricht in ihrem staatsrechtlichen und organisatorischen 
Grundgedanken der der mittelalterlichen Gerichtsverfassung 
eigenen Gegenüberstellung des Richters und der Urteilsfinder (Schöffen), 
wenngleich die Ausgestaltung dieses Prinzips in vielen Punkten eine 
andere ist. Die Militärgerichtsgewalt ist in der militärischen Befehls- 
macht enthalten, mithin ein Recht des Kontingentsherrn. 
Durch die Uebertragung einer militärischen Befehlshaberstelle über- 
trägt der Kontingentsherr zugleich die Ausübung der Gerichtsgewalt. 
Gerichtsherr ist derjenige, welcher im Auftrage und in Vertretung des 
1)InSachsen war bereits am 4. November 1867 eine Militärstrafgerichtsordnung 
erlassen worden, welche mit der preußischen übereinstimmt, jedoch eine erhebliche 
Zahl von redaktionellen Abänderungen, sowie Zusätze und Weglassungen aufweist. Die 
Befugnis wie die Pflicht des Königs von Sachsen zum Erlaß derselben ergab sich 
aus dem Art. 61 der Reichsverfassung in dem richtig verstandenen Sinn desselben. 
Siehe oben S. 19 fg. Dieselbe hat daher ihre formelle Geltung durch die kaiserliche 
Verordnung vom 29. Dezember 1867 nicht verloren. Diese Verordnung erstreckte 
ihre Wirksamkeit nur auf diejenigen Gebiete des Norddeutschen Bundes, in welchen 
die preußische Strafgerichtsordnung noch nicht Geltung erlangt hatte. 
2) Dieselbe ist revidiert und von neuem verkündigt worden durch Verordnung 
vom 6. November 1872. Bayer. Militärverordnungsbl. 1872, S. 453. 
3) Dieser Zustand hatte jedoch einen gesetzlichen Stützpunkt in der Verordnung 
des Bundespräsidiums vom 29. Dezember 1867, durch welche das preuß. Militärstraf- 
recht im Bundesgebiet eingeführt wurde (Bundesgesetzbl. S. 185). Denn im $ 4 der 
Einleitung zum Strafgesetzbuch für das preuß. Heer heißt es: „welche Militärpersonen 
zum Soldatenstande und welche zum Beamtenstande gehören, ist in dem diesem Ge- 
setzbuch unter Lit. A beigefügten Verzeichnis angegeben“. In diesem Verzeichnis, 
welches im Bundesgesetzbl. 1867, S. 283 abgedruckt ist, werden aber neben den Per- 
sonen des Soldatenstandes in der Armee auch die in der Marine aufgeführt. Immer- 
hin ist diese Art der Einführung eines Gesetzes keine normale Vgl. v. Kries im 
Archiv für öffentliches Recht Bd. V, S. 373 ff. und v. Marck, Der Militärstrafprozeß 
in Deutschl., Berlin 1893, I, S. 99 fg.
	        
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