Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

S 95. Allgemeine Prinzipien. 11 
geschichte der norddeutschen Bundesverfassung. Preußen hatte bei 
den Verhandlungen über die Militärreform beim deutschen Bundes- 
tage das Prinzip der Kontingentsverfassung unangetastet gelassen; es 
hatte in den Grundzügen vom 10. Juni 1866 den deutschen Staaten 
ein Bündnis angeboten, wonach ihre Militärhoheitsrechte so weit 
ihnen verbleiben sollten, als sie nicht durch die drei wichtigen Grund- 
sätze der gleichmäßigen Organisation und Ausrüstung, des einheit- 
lichen Oberbefehls und der Gemeinschaft der Kosten und Lasten be- 
schränkt werden mußten. Die preußische Regierung konnte ihren 
Verbündeten gegenüber nicht wortbrüchig werden; sie mußte in dem 
ihnen vorgelegten Verfassungsentwurf diejenigen Grundlinien festhal- 
ten, welche in den Grundzügen vom 10. Juni 1866 ihnen angeboten 
und zugesichert und von ihnen angenommen worden waren. Weiter- 
gehende Beschränkungen ihrer militärischen Hoheitsrechte durfte man 
ihnen nicht auferlegen; hierzu mußte jeder einzelne von 
ihnen besonders zustimmen. Daraus ergab sich das System der 
Konventionen mit Notwendigkeit; viele derselben sind ja auch erst 
lange nach Errichtung des Bundes zum Abschluß gelangt. Hierzu 
kam noch die weitere politische Erwägung, daß der Norddeutsche 
Bund von Anfang an so angelegt war, daß die süddeutschen Staaten 
in denselben eintreten konnten, und man mußte daher bedacht sein, 
auch die Militärverfassung so einzurichten, daß es den süddeutschen 
Staafen ermöglicht wurde, sie anzunehmen. Wenn auch infolgedessen 
die Verfassung unitarischen Wünschen und Idealen nicht völlig ent- 
spricht, so hat sie doch in bewunderungswürdiger Weise zu gleicher 
Zeit den militärischen Bedürfnissen und den politischen Verhältnissen 
Rechnung getragen. Viele ihrer Bestimmungen rühren sicherlich von 
‚militärischen Sachverständigen, nicht von Juristen her und verraten 
diesen Ursprung durch eine in juristisch-technischer Hinsicht unvoll- 
kommene Formulierung. Diese militärischen Forderungen waren be- 
reits zu einer Zeit erhoben worden, als alle deutschen Bundesstaaten 
noch souverän waren; sie gehen daher nicht von der Rechtlosigkeit, 
sondern von der Vollberechtigung der Bundesstaaten aus; sie 
konnten nicht die Vernichtung sondern nur die militärisch brauch- 
bare Zusammenfassung der Kontingente anstreben. Es ging daher 
nicht an, plump und täppisch durchzugreifen, die Einheit des Heeres 
als obersten Grundsatz zu proklamieren und behufs seiner Durch- 
führung die militärischen Hoheitsrechte der anderen Staaten einfach 
auszuwischen. Man war durch die politischen Verhältnisse zu einer 
größeren Feinheit, zu einer viel künstlicheren Gestaltung genötigt. 
Man mußte einen Weg einschlagen, bei welchem den militäri- 
schen Bedürfnissen Genüge geschah und zugleich die staats- 
rechtliche oder politische Stellung und Würde der verbündeten 
Staaten geschont wurde; mit anderen Worten: man mußte beides 
vereinigen, was scheinbar unvereinbar ist, die militärische Einheit des
	        
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