Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

156 8 106. Die gesetzliche Wehrpflicht. 
kanischen Schutztruppen besteht nicht; Reichsangehörige werden in 
diese Truppenkörper nur auf Grund freiwilliger Meldung eingestellt. 
Die Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte gliedert sich 
in zwei Teile, in die Pflicht zum aktiven Dienst (bei den Fahnen) 
und in die Reservepflicht '), die juristisch voneinander sehr verschie- 
den sind. 
1. Die aktive Dienstpflicht als Bestandteil der gesetzlichen 
Wehrpflicht, d. h. im Gegensatz zur vertragsmäßig übernommenen 
Dienstverpflichtung, ist ein Anwendungsfall der Untertanenpflicht und 
hat deshalb qualitativ keinen anderen Inhalt als die staatsbürgerliche 
Untertanenpflicht überhaupt, nämlich Gehorsam und Treue?) 
Sie ist aber eine stark potenzierte Untertanenpflicht, indem sowohl die 
Gehorsamspflicht als die Treuverpflichtung einen sehr ausgedehnten 
Umfang haben und indem ihre Erfüllung durch schwere Strafdro- 
hungen gesichert ist. 
a) Die militärische Gehorsamspflicht. 
Die ausgehobenen Rekruten sind von dem Tage ihres Eintrittes 
in das aktive Heer bis zu dem Ablauf des Tages ihrer Entlassung aus 
dem aktiven Dienste) der Gewalt ihrer militärischen Vorgesetzten in 
der Art unterworfen, daß sie dienstlichen Befehlen derselben unbe- 
dingt Folge leisten müssen. Diese Gewalt ist eine obrigkeitliche, eine 
im Öffentlichen Recht wurzelnde; sie ist ein Anwendungsfall der 
Staatsgewalt selbst; daher darf sie nur im Interesse des Dienstes ver- 
wendet werden und der Mißbrauch derselben ist mit Kriminalstrafe 
bedroht %). Dies ist aber auch die einzige juristische, d.h. durch 
Rechtssatz gegebene Schranke dieser Gewalt. Worin der Inhalt dienst- 
licher Befehle bestehen kann, ist nicht rechtlich bestimmt, sondern 
durch tatsächliche Umstände, technische Rücksichten, durch das In- 
teresse an der Ausbildung der Soldaten, der Sicherheit, Ordnung, Spar- 
samkeit der Verwaltung usw. bedingt. Man kann nicht angeben, zu 
welchen einzelnen Leistungen der bei den Fahnen befindliche Soldat 
rechtlich verpflichtet sei; seine Gehorsamspflicht ist vielmehr inhalt- 
lich eine unbegrenzte; er muß jedem dienstlichen Befehl des Vorge- 
gesetzten nachkommen, soweit er es vermag. 
Zwar kann der Vorgesetzte nicht befehlen, was ihm beliebt; er ist 
vielmehr seinerseits wieder durch Verordnungen, Instruktionen und 
Befehle seiner Vorgesetzten angewiesen, was er den ihm untergebenen 
Mannschaften befehlen dürfe und solle. Die Ordnung dieser Verhält- 
nisse aber ist eine innere Angelegenheit der Armee und Marine und 
nicht von rechtlicher Natur. Das Rechtsverhältnis zwischen dem 
seine aktive Dienstpflicht erfüllenden Untertan und der Staatsgewalt 
ist lediglich durch den Satz gegeben, daß der erstere allen dienst- 
1) Wehrgesetz $ 6. Wehrordnung 8 5 ıı. 6. 2) Vgl. Bd. 1,8 15. 
3) Vgl. Militärgesetz $ 38, Ziff. 3. 
4) Militärstrafgesetzbuch VII. Abschn., S 114 ff. (Reichsgesetzbl. 1872, S. 195 £f.).
	        
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