184 8 106. Die gesetzliche Wehrpflicht.
stehenden Heer wird durch die Verkürzung der aktiven Dienstzeit
nicht berührt; die Reservepflicht dauert demnach bei den Einjährig-
Freiwilligen sechs Jahre, nach deren Ablauf die fünfjährige Verpflich-
lung zum Dienst in der Landwehr ersten Aufgebots beginnt. Prinzipiell
gelten nun auch für Wehrpflichtige, welche ihre aktive Dienstpflicht
als Einjährig-Freiwillige erfüllt haben, die allgemeinen Regeln über die
Reserve- und Landwehrpflicht ohne alle Ausnahme; es kann jedoch
eine Abweichung in der Erfüllung dieser Pflicht dadurch eintreten,
daß sie zu Offizieren der Reserve oder Landwehr ernannt werden !).
Die Dienstpflicht der Reserve- und Landwehroffiziere
hat juristisch vollkommen denselben Charakter wie die aktive Dienst-
pflicht der Einjährig-Freiwilligen, d. h. sie ist eine modifizierte
Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht. Der Reserve-
offizier fällt daher nicht wie der Berufsoffizier unter die Rechtskategorie
der Beamten, sondern er gehört zu den ihrer gesetzlichen
Wehrpflicht genügenden Untertanen. Diese Untertanenpflicht erfüllt.
er aber in einer besonderen, teils Erschwerungen, teils Erleichterungen
in sich schließenden Art, und deshalb ist ein Konsens zwischen
dem Wehrpflichtigen und dem Kontingenisherrn (resp. dem die Rechte
desselben auf Grund von Militärkonventionen ausübenden Könige von
Preußen) erforderlich, damit diese besondere Art der Erfüllung
an die Stelle der allgemeinen trete. Niemand kann wider seinen
Willen zum Reserveoffizier ernannt und zur Erfüllung der mit dieser
Stellung verbundenen Pflichten genötigt werden. In dieser Hinsicht
besteht allerdings zwischen dem Rechtsverhältnis, in welchem der
Berufsoffizier zu seinem Dienstherrn steht, und dem Rechtsverhältnis
des Reserve- und Landwehroffiziers Gleichheit ?). Die Grundlage des
ganzen Verhältnisses bleibt aber immer die gesetzliche Wehrpflicht.
Die Voraussetzungen zur Erlangung des Charakters eines
Reserve- oder Landwehroffiziers sind außer dem Erwerb des Quali-
fikationsattestes zum Offizier folgende: Die »Offizieraspiranten« müssen
nach ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienst eine achtwöchige Uebung
absolvieren, um ihre dienstliche und außerdienstliche Befähigung zum
Offizier darzutun; am Schluß der Dienstleistung trägt der Befehlshaber
des 'Truppenteiles, bei welchem sie die Uebung machen, in das Ueber-
weisungsnationale ein, ob er einverstanden sei, daß der betreffende
Offizieraspirant in Vorschlag gebracht werde°). Hierauf muß sich der
1) Wehrgesetz $ 11a. E.
2) Dies übersieht G. Meyer in Hirths Annalen 1876, S. 669. Was derselbe
Annalen 1880, S. 350 zur Rechtfertigung seiner Ansicht ausführt, ist meines Ermessens
ohne Belang. Daß der Wehrpflichtige zum Militärdienst einberufen wird, beruht
auf dem Gesetz; daß er aber zum Offizierdienst einberufen werden könne,
erfordert einen Konsens. Meyer hat sich jetzt dieser Ansicht angeschlossen. Ver-
waltungsrecht II, S. 129.
3) Heerordnung $ 45fg.; Marineordnung $ 56. Schon nach den ersten Wochen
der Uebung darf zum Vizefeldwebel oder Vizewachtmeister resp. Vizesteuermann,