8 96. Die Einheitlichkeit dos Militärrechts u. der Heereseinrichtungen. 21
lange fortbestehen lassen, bis das ganze umfangreiche Gebiet durch
Bundesgesetze geregelt sein würde Für den Augenblick gab es kein
anderes Mittel zur Herstellung der erforderlichen Uebereinstimmung
als die Erstreckung der gesamten preußischen Militärgesetzgebung auf
das ganze Bundesgebiet, die insofern eine provisorische sein sollte,
als nach gleichmäßiger Durchführung der Bundes - Kriegsorganisation
„ein umfassendes Bundesmilitärgesetz« erlassen werden sollte Die-
selbe Bestimmung ist aus der norddeutschen Bundesverfassung in die
Reichsverfassung übergegangen, gleichzeitig aber ihre Anwendbarkeit
auf Bayern ganz, auf Württemberg teilweise ausgeschlossen worden.
Art. 61, Abs. 1 der Reichsverfassung lautet:
„Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen
Reiche die gesamte preußische Militärgesetzgebung ungesäumt
einzuführen, sowohl die Gesetze selbst, als die zu ihrer Aus-
führung, Erläuterung oder Ergänzung erlassenen Reglements,
Instruktionen und Reskripte.«
Aus diesem Satze und der demselben hinzugefügten Aufzählung
einzelner Beispiele ergibt sich als unzweifelhaft, daß nicht bloß die
eigentlichen (formellen) Militärgesetze, sondern auch alle Militärverord-
nungen, welche für die preußische Armee in Geltung standen, im
ganzen Reiche Geltung erlangen sollten; auf welchem Wege dieses
Resultat aber zu erreichen sei, also über den staatsrechtlich wichtigsten
Punkt, schweigt der Artikel’). Er ist daher in verschiedener Art aus-
gelegt worden; nach der einen Ansicht richtet er sein Gebot an die
Einzelstaaten °), nach einer anderen an das Bundespräsidium’’), nach
einer dritten läßt er beide Wege zu‘). Da Art. 61, Abs. 1 nur eine
Uebergangsbestimmung ist, sich nur auf die zur Zeit seines Inkraft-
tretens vorhanden gewesene preußische Militärgesetzgebung
bezieht und nur die erste Herstellung eines übereinstimmenden
Zustandes bezweckte, also keine dauernde Regelung des Verord-
nungsrechts enthält, so ist die Frage nicht mehr von praktischer
Bedeutung’). Meines Erachtens kann freilich kein Zweifel sein, daß
mit dem Wortlaut des Artikels nur die erste der drei erwähnten An-
sichten vereinbar ist. Denn sollte die preußische Gesetzgebung von
Reichs wegen im übrigen Bundesgebiet eingeführt werden, so hätte
die Verfassung dies unmittelbar erklärt und sich nicht auf die An-
1) Vom militärisch-politischen Standpunkt kam es darauf freilich nicht an, son-
dern nur auf die Erreichung des Resultates. Vgl. die Erklärung des Kriegs-
ministers v. Roon im verfassungsber. Reichstage. Stenogr. Berichte S. 851.
2) Hänel, Studien II, S. 70.
3) Seydel, Kommentar (l. Aufl.) S. 223; G. Meyer, Annalen 1880, S. 340.
S 399) Arndt, Verordnungsrecht S. 127 fg. Vgl. Seydel, Kommentar 2. Aufl.
5) Die Frage hat aber ein theoretisches Interesse hinsichtlich des in der
Verfassung zum Ausdruck gebrachten Grundprinzips der deutschen Heeresverfassung.