Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

& 116. Die Reichsschulden. 369 
scheine ausfertigt, »nach besonderer Anordnung des Bundespräsidiumsse; 
hierdurch wurden diese kaiserlichen Erlasse erforderlich. Nachdem 
in der Reichsschuldenordnung 8 3 diese Worte fortgeblieben sind, be- 
steht für dieselben keine rechtliche Notwendigkeit mehr ’’). 
b) So wie die Aufnahme einer Anleihe, so ist auch die Kündi- 
gung und Tilgung derselben ein Rechtsgeschäft des Vermögensver- 
kehrs, also ein Verwaltungsgeschäft, kein Akt der Gesetzgebung 
(im materiellen Sinn). Da aber dieses Geschäft in die Finanzwirt- 
schaft des Reiches nicht minder tief eingreift, wie die Aufnahme der 
Anleihe, so ist auch hiezu die Genehmigung des Bundesrates und des 
Reichstages, »der Weg der Gesetzgebung«, für erforderlich erklärt. 
Zwar nicht in der Reichsverfassung, wohl aber nach dem typischen 
Inhalt sämtlicher Anleihegesetze und $ 6 der Reichsschuldenordnung, 
und auch hier nur in einer versteckten Weise, indem dem Reiche 
das Recht vorbehalten ist, die Schuldverschreibungen der einzelnen 
Rentenemissionen »binnen einer gesetzlich festzusetzenden Frist 
zu kündigen« ?). Hiernach braucht zwar nur die Bestimmung der 
Kündigungsfrist durch das Gesetz zu erfolgen; aber es versteht sich 
von selbst, daß der Bundesrat und der Reichstag diese Frist nur dann 
festsetzen werden, wenn sie die Tilgung der Schuld überhaupt be- 
schließen wollen’). Demgemäß hat auch das Reichsgesetz vom 28. Ok- 
tober 1871 (Reichsgesetzbl. S. 343) sich nicht auf die Feststellung der 
Kündigungsfrist beschränkt, sondern »den Reichskanzler ermäch- 
tigt, die... Anleihe des vormaligen Norddeutschen Bundes zur Ein- 
lösung ... mit einer Frist von drei Monaten kündigen zu lassen«. 
Ebenso das Reichsgesetz vom 8. März 1897 (Reichsgesetzbl. S. 21). 
Die Reichsschuldenordnung $ 5 enthält über die Tilgung der An- 
leihe die aus den früheren Anleihegesetzen herübergenommene Be- 
stimmung, daß sie in der Weise geschieht, daß die durch den Haus- 
haltsplan dazu bestimmten Mittel zum Ankauf einer entsprechenden 
Anzahl von Schuldverschreibungen verwendet werden. Der Sinn dieser 
Anordnung ist der, daß eine planmäßige Tilgung nicht stattfindet 
1) Der Erlaß vom 18. Februar 1901 (Reichsgesetzbl. S. 115) bezieht sich auf An- 
leihen, deren Aufnahme vor dem Inkrafttreten der Reichsschuldenordnung 
genehmigt worden ist. Vgl. Reichsschuldenordnung $ 21, Abs. 2, 
2) Gesetz vom 6. April 1870, $ 4, Abs. 1 (Bundesgesetzbl. S. 65). 
3) Daß die Reichsverfassung über die Tilgung der Anleihen keine Bestimmung 
enthält, beruht darauf, daß bei Darlehensschulden, welche amortisiert oder 
an bestimmten Terminen fällig werden, der Tilgungsmodus schon bei der Kontra- 
hierung der Anleihe festgestellt wird. Zur Zeit der Abfassung der Norddeutschen 
Bundesverfassung war die tilgbare Anleihe die übliche Form. Vgl. das Anleihegesetz 
des Norddeutschen Bundes vom 9. November 1867, 83. Auf Schatzanweisungen 
finden die Regeln über die Kündigung keine Anwendung; sie sind am Fälligkeits- 
termin einzulösen. Der Reichskanzler ist befugt, Schatzanweisungen durch Ausgabe 
von neuen Schatzanweisungen und von Schuldverschreibungen in dem erforderlichen 
Nennbetrage einzulösen. Reichsgesetz vom 22. Februar 1904, Art. I.
	        
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