Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

370 8 116. Die Reichsschulden. 
und den Anleihensgläubigern ein Anspruch darauf nicht eingeräumt 
werden darf. Denn daß die Schuldverschreibungen durch freihändigen 
Ankauf amortisiert werden können, wenn durch den Reichsetat Geld- 
mittel dafür bestimmt sind, ist selbstverständlich. Die weitere Be- 
stimmung, daß die — durch besondere Gesetze angeordnete — Ver- 
minderung der Schuld durch Absetzung vom Anleihesoll einer Tilgung 
gleich zu achten ist, hat nur für den Reichsetat Bedeutung und hat 
nicht die Tilgung einer Anleiheschuld, sondern die Unterlassung oder 
Verminderung der Kontrahierung einer solchen zum Inhalt. In den 
Jahren 1896 bis 1900 sind Gesetze solcher Art erlassen worden, welche 
scheinbar und rechnungsmäßig die Schuldentilgung betreffen, da- 
gegen nicht eine effektive Herabsetzung der vorhandenen Reichsschul- 
den bewirkten. Vgl. darüber unten $ 117. Auch die in allen An- 
leihegesetzen und in der Schuldenordnung $ 8 enthaltene Vorschrift, 
daß die zur Verzinsung und Tilgung der Anleihe, sowie zur Einlösung 
der Schatzanweisungen erforderlichen Beträge der Reichsschuldenver- 
waltung aus den bereitesten Einkünften des Reichs zur Verfügung ge- 
stellt werden müssen, betrifft nicht das Anleiherecht, sondern das 
Etatsrecht des Reichs. 
Seit dem 1. April 1911 gelten über die Tilgung der Reichsanleihen 
die Vorschriften des Gesetzes über das Finanzwesen vom 15. Juli 1909 
(Reichsgesetzbl. S. 743 ff... Dieses Gesetz unterscheidet zwischen den 
für werbende Zwecke ausgegebenen und den übrigen Anleihen und zwi- 
schen den biszum 30. Sept. 1910 undden vom 1. Okt. ab begebenen Anleihen. 
Die für werbende Zwecke bis zum 30. Sept. 1910 ausgegebenen Anleihen 
sollen vom Rechnungsjahr 1908 ab jährlich um mindestens °/; Pro- 
zent des Schuldbetrages getilgt werden; die vom 1. Oktober 1910 ab 
begebenen um mindestens 1,9 Prozent; die zusonstigen Zwecken 
vor dem 1. Oktober 1910 ausgegebenen Anleihen sind jährlich minde- 
stens mit 1 Prozent, die nach diesem Termin begebenen mindestens 
mit 3 Prozent zu tilgen; in allen Fällen unter Hinzurechnung der er- 
sparten Zinsen in Höhe von 3! Prozent. Allein diese Bestim- 
mungen haben nur eine rechtliche Bedeutung für das Etatsrecht und 
sind nicht mehr als ein guter Vorsatz zur Besserung der Finanzlage 
des Reichs. Denn das Gesetz fügt hinzu: »Abschreibungen vom An- 
leihesoll und Anrechnungen auf offene Kredite sind einer Tilgung 
gleich zu achten« (8 3, Abs. 5). Eine effektive Schuldentilgung würde 
daher nur eintreten, wenn nicht neue Schulden gemacht werden; wenn 
dagegen alljährlich neue Anleihen aufgenommen werden, so tritt keine 
Verminderung der bestehenden Schulden ein, sondern der Betrag der 
neuen Anleihe wird so hoch bemessen, daß er die zur sogen. Schul- 
dentilgung im Etat festgesetzte Summe mit umfaßt und das Anleihe- 
soll wird alsdann um diesen Betrag gekürzt; also eine fiktive Schul- 
dentilgung durch eine fiktive Anleihe.
	        
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