Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

3892 8 117. Allgemeine Charakteristik und geschichtliche Entwicklung. 
sungen der Branntweinsteuer noch bestehen'!). Es wurde ferner das 
Verhältnis der Matrikularbeiträge zu den Ueberweisungen geregelt); 
dasselbe hat aber den größten Teil seiner Bedeutung infolge der Ein- 
schränkung der Ueberweisungen ohnehin eingebüßt. Diese Gesetz- 
gebung bedeutet trotz der formellen Aenderung des Art. 70 eine Rück- 
kehr zu den Grundsätzen der Reichsverfassung, d. h. zur Trennung 
der Reichsfinanzen von denen der Einzelstaaten, von welcher das Sy- 
stem der Ueberweisungen sich so weit entfernt hatte. 
Die im Jahre 1906 eingeführten Steuererhöhungen und neuen 
Steuern reichten zur Deckung der hochanschwellenden Ausgaben des 
Reichs nicht aus; die bestehenden Verbrauchsabgaben und nament- 
lich die Stempelabgaben wurden von neuem erheblich erhöht und 
durch das Reichsgesetz vom 15. Juli 1902, betreffend Aenderung im 
Finanzwesen (Reichsgesetzbl. S. 743), wurden neue Steuern eingeführt 
(siehe unten $ 119 ff... Ueber die Matrikularbeiträge enthält das Gesetz 
8 2 nur eine vorübergehende Anordnung. Durch das Reichsgesetz 
vom 23. Mai 1910 (Reichsgesetzbl. S. 775) trat hinzu eine Abgabe vom 
Absatz von Kalisalzen. 
Endlich wurde 1913 das Finanzwesen des Reichs nochmals einer 
sehr eingreifenden Reform unterworfen. Abgesehen von einer aber- 
maligen bedeutenden Erhöhung der Stempelabgaben und einer Er- 
höhung der Erbschaftssteuer wurden eingeführt durch das Gesetz vom 
3. Juli 1913 (Reichsgesetzbl. S. 524) eine Besteuerung des Vermögens- 
zuwachses (Besitzsteuer) und durch das Gesetz vom 3. Juli 1913 
(Reichsgesetzbl. S. 505) ein außerordentlicher »Wehrbeitrag« zur Dek- 
kung der Kosten der Heeresverstärkung; beide Steuern sind sehr eigen- 
artige, von den bisher gebräuchlichen Formen der Besteuerung weit 
abweichende Gebilde. 
III. Obgleich das Reich seit seiner Gründung verfassungsmäßig 
das uneingeschränkte Recht besitzt, jede ihm geeignete Steuer, direkte 
und indirekte und ohne Beschränkung auf gewisse Steuerobjekte, ein- 
zuführen, so muß doch eine gewisse Verteilung der Abgaben zwischen 
dem Reich und den Bundesstaaten stattfinden, da auch diese zur Dek- 
kung ihrer Bedürfnisse auf Steuern angewiesen sind. Bis zum Jahre 
1906 wurde auch eine feste Grenze beobachtet; das Reich beschränkte 
sich auf die Zölle, Verbrauchsabgaben und Stempelsteuern (Verkehrs- 
ein Fünftel der im einzelnen Staat erhobenen Steuer beträgt, ist aber wohl zu unter- 
scheiden von den Ueberweisungen; die Erbschaftssteuer ist vielmehr eine gemein- 
schaftliche Steuer des Reichs und der Einzelstaaten, wie es auch die durch Gesetz vom 
14. Februar 1911 (Reichsgesetzbl. S. 33) eingeführte Wertzuwachssteuer von Grund- 
stücken gewesen ist. 
1) Diese Ausnahme beruht darauf, daß die Verteilung der Branntweinabgabe 
nach der Größe der Bevölkerung die Bedingung war, unter welcher die süddeutschen 
Staaten in die Steuergemeinschaft eingetreten sind. 
2) Durch 8 3 des Gesetzes, der aber durch das Gesetz vom 15. Juli 1909, $ 1 
wieder „außer Wirksamkeit“ gesetzt wurde.
	        
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