Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

$ 117. Allgemeine Charakteristik und geschichtliche Entwicklung. 383 
abgaben), die letzteren allerdings in weiter Ausdehnung; alle anderen 
Steuern blieben den Einzelstaaten vorbehalten. Fürst Bismarck hat 
bei vielen Gelegenheiten '), namentlich bei der Zoll- und Steuergesetz- 
gebung von 1879, auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß das Reich 
zur Deckung seiner Finanzbedürfnisse das System der indirekten 
Steuern ausbauen und den Bundesstaaten, welchen diese Steuerquellen 
in der Hauptsache verschlossen sind, die direkten Steuern überlassen 
müsse. Bis zum Jahre 1906 wurde dieser Grundsatz auch befolgt. 
Durch die Einführung der Reichserbschaftssteuer, welche weder eine 
Verbrauchs- noch eine Verkehrssteuer ist, sondern das Vermögen 
bei einer bestimmten Gelegenheit trifft, und durch die Tanti&mesteuer, 
die ihrem Wesen nach eine spezielle Einkommensteuer ist, erfolgte 
aber ein Einbruch des Reichs in dieses den Bundesstaaten bis dahin 
vorbehaltene Gebiet. Man versuchte wenigstens scheinbar die herge- 
brachte Abgrenzung innezuhalten, indem man die Erbschaftssteuer 
theoretisch oder »steuertechnisch« für eine indirekte Steuer ausgab: 
und die Tantiömesteuer in das Gewand einer Stempelsteuer verklei- 
dete. Seitdem aber der erste Schritt in dieser Richtung getan war, ist 
mit wachsendem Nachdruck das Verlangen nach einer Reichsver- 
mögens- oder Reichseinkommenssteuer erhoben worden und durch 
die Besitzsteuer (Vermögenszuwachssteuer) und den Wehrbeitrag haben 
die Bundesregierungen diesem Verlangen nachgegeben. Den Einzel- 
staaten müssen aber diejenigen Einnahmequellen gelassen werden, 
ohne welche sie ihre finanziellen Lasten nicht tragen und ihre poli- 
tische Existenz nicht aufrecht erhalten können. Die Einzelstaaten 
müssen die Reichsgesetze ausführen und die gesamte dazu erforder- 
liche Verwaltung auf ihre Kosten einrichten und führen, und sie ha- 
ben ferner auf ihre Kosten alle staatlichen Aufgaben zu erfüllen, 
welche nicht zur Zuständigkeit des Reichs gehören. Dieser doppelten 
Teilung der Aufgabe zwischen dem Reich und den Bundesstaaten und 
den damit verbundenen finanziellen Lasten muß auch eine sichere 
Teilung der Einnahmequellen entsprechen. Die Heranziehung der 
direkten Steuern zur Deckung der Reichsbedürfnise kann der Weg. 
zu einer tiefeingreifenden Umbildung der Grundlagen der Reichsver- 
fassung sein und namentlich den Staaten ohne Besitz von ertragrei- 
chen Eisenbahnen und anderem großen Finanzvermögen die Tragung 
der finanziellen Lasten und damit die Aufrechterhaltung der staatlichen 
Existenz unmöglich machen. 
IV. Nach Art. 70 der Reichsverfassung (in der jetzigen Fassung) 
sind »gemeinschaftliche« Einnahmen des Reichs, welche zur Bestrei- 
tung »aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen«, die Erträge der 
Zölle und gemeinsamen Steuern und die aus dem Eisenbahn-, Post- 
  
1) Vgl.meine Schrift „Direkte Reichssteuern® Berlin 1908, S.I3 ff. G. Strutz, 
Reichs- und Landessteuern, Stuttgart 1913 (Finanzwirtschaftl. Zeitfragen Heft 1).
	        
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