Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

38 8 97. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches. 
Gültigkeit der Prüfung des Untergebenen nicht unterliegt. Ohne diese 
unbedingte Gehorsamspflicht könnte die Armee ihre Aufgabe nicht 
erfüllen; würde jeder Militärbefehlshaber die verfassungsmäßige Gül- 
tigkeit und Rechtmäßigkeit der ihm erteilten Dienstbefehle zu prüfen 
haben, so würde dies nicht nur zu einer Desorganisation der Armee, 
sondern zu einer Prätorianerherrschaft, zum Sturz der verfassungs- 
mäßigen Staatseinrichtungen führen. Mit dem dargelegten Wesen der 
Kommandogewalt steht im Einklang, daß die Armee nicht auf die 
Beobachtung der Verfassung vereidigt wird und militärische Anord- 
nungen des Monarchen keiner Kontrasignatur bedürfen und nicht wie 
Gesetze und Rechtsverordnungen in gesetzmäßiger Weise verkündet 
zu werden brauchen. Sie müssen nur, wie jeder Befehl, denjenigen 
mitgeteilt werden, die sie befolgen sollen. Andererseits sind militä- 
rische Ordres, auch die des obersten Kriegsherrn, nur verbindlich für 
die Militärpersonen des Soldatenstandes im aktiven Dienst; denn nur 
diese Personen unterliegen der geschilderten Gehorsamspflicht. An- 
dere Personen, als die im aktiven Dienst befindlichen Soldaten und 
Offiziere, werden durch: solche Ordres nicht verpflichtet; an sie sind 
die Ordres nicht gerichtet und sie brauchen sie nicht zu kennen. Mit 
dieser Charakteristik der Kommandogewalt ist aber die Frage nicht 
entschieden, in welchem Umfang der Kaiser, beziehentlich der Kon- 
tingentsherr, von ihr Gebrauch machen darf. Die Armee und die 
Kriegsmarine als staatliche Anstalten sind den allgemeinen Nor- 
men des Verfassungsrechts in derselben Art unterworfen wie die übri- 
gen Anstalten, welche zur Durchführung der Staatsaufgaben dienen: 
Gerichte, Verkehrsanstalten, Wohlfahrtsanstalten. Soweit es sich um 
die Organisation des Heeres und der Marine, das Verhältnis zu ande- 
ren Zweigen der Verwaltung und um Rechte und Pflichten der Unter- 
tanen und Zivilbehörden handelt, findet auch die Kommandogewalt 
an den bestehenden Gesetzen feste Schranken, und die Ansätze des 
Etats sind auch für sie in demselben Maße bindend, wie sie es über- 
haupt sind. Die Rechtsgültigkeit solcher Anordnungen ist davon un- 
abhängig, daß sie für die Personen des Soldatenstandes verbindlich 
sind, und für die Gesetzmäßigkeit der Kabinettsorders trägt der Reichs- 
kanzler oder der betreffende Kriegsminister die verfassungsmäßige 
Verantwortlichkeit, auch wenn er sie nicht gegengezeichnet hat. Im 
Bereich des militärischen Oberbefehls über die bewaffnete Macht da- 
gegen darf der Träger der Befehlsgewalt nicht dadurch lahm gelegt 
und in der Freiheit der Entschließung gehindert werden, daß ein 
anderer für seine Befehle die Verantwortlichkeit übernehmen und sie 
dadurch erst gültig und vollziehbar machen muß. 
II. Die Rechte und Pflichten, welche nach der Reichsverfassung 
und den auf Grund derselben ergangenen Reichsgesetzen den Inhalt 
des kaiserlichen Militärbefehls bilden, sind folgende: 
1. »Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen
	        
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