49 8 97. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
III. Die angegebenen Rechtsvorschriften haben für Bayern keine
Geltung‘. Nur im Kriege sind die bayerischen Truppen ver-
pflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn (Kaisers) unbedingt Folge
zu leisten ?); im Frieden stehen sie ausschließlich unter dem Befehl
des Königs von Bayern. Der ÖOberbefehl des Kaisers tritt ein mit
Beginn der Mobilisierung’). Aus dem Oberbefehl des Kaisers darf
man aber nicht die Folgerung herleiten, daß das bayerische Heer im
Kriege ein unterschiedsloser Bestandteil des Reichsheeres wird und
alle militärischen Hoheitsrechte des Königs von Bayern vollkommen
suspendiert werden‘). Im Frieden gelten nur folgende Regeln,
um die Einheitlichkeit des deutschen Heeres auch mit Rücksicht auf
das bayerische Kontingent zu sichern:
1. Der oben S. 25 in betreff des Verordnungsrechts erwähnte
Satz, daß Bayern verpflichtet ist, in bezug auf Organisation, For-
mation, Ausbildung und Gebühren, sowie hinsichtlich der Mobilma-
chung volle Uebereinstimmung mit den für das Reichsheer bestehen-
den Normen herzustellen, findet auch Anwendung auf die Ausübung
des dem Könige von Bayern zustehenden Oberbefehlsrechtes hinsicht-
lich der erwähnten Materien.
2. Dem Kaiser steht das Recht der Inspektion des bayerischen
Kontingents, um sich von der Uebereinstimmung in Organisation,
Formation und Ausbildung, sowie von der Vollzähligkeit und Kriegs-
tüchtigkeit desselben Ueberzeugung zu verschaffen, grundsätzlich zu;
in jedem einzelnen Falle der Vornahme einer solchen Inspektion
muß sich jedoch der Kaiser über die Modalitäten, sowie über das
Ergebnis mit dem Könige von Bayern ins Einvernehmen set-
zen’). Ohne die Einwilligung des Königs von Bayern kann daher
der Kaiser sein Inspektionsrecht nicht ausüben, und es besteht keine
Verpflichtung des Königs, wenn bei einer stattgefundenen In-
spektion persönliche oder sachliche Mängel bemerkt werden, dieselben
1) Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt der Reichsverfassung.
2) Vertrag vom 23. November 1870, III, $5, Ziff. IV. Vgl. Seydel, Bayer.
Staatsrecht Bd. 3, S. 704 fg.
3) Ebendaselbst Ziff. III, Abs. 1.
4) Diese Uebertreibung, welche ebensowohl den Bestimmungen der Verfassung
wie den tatsächlichen Verhältnissen widerspricht, findet sich namentlich bei Brock-
hausin der S. 1 zitierten Schrift. Vgl. dagegen meine Abhandlung im Archiv f.
öffentl. Recht Bd. 3, S. 528 ff.; ferner Seydel, Bayer. Staatsrecht Bd. 3, S. 705.
Bearbeitung von v. Graßmann-Piloty, ID, S. 607” ff. Gümbela. a. O,
S. 187 ff. Dagegen halte ich die Darstellung, welche Arndt in seinem Staatsrecht
S. 494 gibt, in diesem wie in den meisten anderen Punkten für durchaus verfehlt und
durch schiefe politische Gesichtspunkte entstellt. Sie stehen in vollem Wider-
spruch mit den Bestimmungen der Reichsverfassung und der von Graßmann in
Hirths Annalen 1898, S. 722 ff. mitgeteilten aktenmäßigen Vorgeschichte des Versailler
Vertrages.
5) Ebendaselbst Ziff. III, Abs. 4.