S 97. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches, 43
auf eine vom Kaiser an ihn gerichtefe Aufforderung abzustellen, so-
weit nicht der unter Ziff. 1 erwähnte Grundsatz Platz greift.
3. Die Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobilisierung) des baye-
rischen Kontingents oder eines Teiles desselben erfolgt zwar seitens
des Königs von Bayern; derselbe ist aber verpflichtet, diesen Befehl
yauf Veranlassung des Bundesfeldherrn« zu erteilen!). Durch Erlaß
der Mobilmachungsordre unterstellt der König von Bayern zugleich
sein Kontingent dem ÖOberbefehl des Kaisers.
IV. Zu den militärischen Rechten des Kaisers zählt die
Reichsverfassung auch die Befugnis desselben, wenn die öffentliche
Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Teil dessel-
ben in Kriegszustand zu erklären ?. Diese Bestimmung findet sich
in dem IX. Abschnitt der Reichsverfassung, welcher die Ueberschrift
»Reichs-Kriegswesen« trägt, und nach dem Wortlaut der norddeut-
schen Bundesverfassung war diese Befugnis nicht dem Bundesprä-
sidium, sondern dem »Bundesfeldherrn« beigelegt; es ist also kein
Zweifel, daß nach der Verfassung dieses Recht des Kaisers als ein
Ausfluß oder Bestandteil seines militärischen Oberbefehls aufgefaßt
wird 9). Daraus ist aber nicht zu folgern, daß von dieser Befugnis
nur im Kriegsfall oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen
äußere Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der kaiserliche
Oberbefehl besteht auch im Frieden, und das Militär ist nicht nur zum
Schutz gegen äußere Feinde, sondern auch zur Aufrechterhaltung des
Landfriedens gegen innere Bedrohungen bestimmt. Ihrem Inhalte
nach reicht die im Art. 68 dem Kaiser eingeräumte Machtvollkom-
menheit aber weit über die Grenzen hinaus, welche dem Militärober-
befehl an sich gezogen sind; denn die Erklärung des Kriegszustandes
wirkt nicht nur auf die zum Soldatenstande gehörenden, zum Militär-
gehorsam verpflichteten Personen, sondern sie erstreckt sich auf die
gesamte Verwaltung und sogar auf das Strafrecht und die Rechtspflege
und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich uur zeitweilige, Verän-
derung des gesamten Rechtszustandes *.. Die Erklärung des Kriegs-
1) Ebendaselbst Abs. 5.
2) Reichsverfassung Art. 68. Thudichum, Verfassungsrecht des Nord-
deutschen Bundes S. 288 fg.; v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 85 ff. (fast wörtlich ab-
gedruckt bei v. Rönnel, S. 82ff.); Zorn I, S. 198; M eyer in Hirths Annalen
1880, S. 846 fg.; Meyer-Dochow, Verwaltungsr. 5 67; Löning, Verwaltungs-
recht S. 290 fg.; BrockhausS. 70fg.; Seyde l, Zeitschrift für deutsche Gesetz-
gebung VII, S. 620 ff.; in v. Stengels Wörterbuch I, 8.158 fg. und Kommentar S. 379;
Hänel, Staatsrecht I, S. 432 ff. Haldy, Das Recht zur Verhängung des Belage-
rungszustandes in Preußen. Bonn 1902. (Auch in den Abhandlungen von Zorn und
Stier-Somlo II, 2) Fleischmann in seinem Wörterbuch d. St. u. Verw.-R. Bd. I
S. 3897 fg. Daselbst weitere Literaturangaben.
3) v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 87 wirft diesen „Zweifel“ auf, um ihn selbst
zu widerlegen.
4) Daher ist der Ansicht, daß der Kaiser diese Befugnis nicht delegieren kann,