46 8 97. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
c) Die Wirkungen der Verhängung des Kriegszusiandes sind
folgende:
a. »Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungs-
zustandes geht die vollziehende Gewalt an die Militärbefehls-
haber über. Die Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden haben den
Anordnungen und Aufträgen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten.«
($ 4, Abs. 1.) Dadurch werden alle Zivilbehörden des Staates und alle
Gemeindehörden zu Unterbehörden und Vollzugsorganen der Militär-
kommandanten gemacht ''); die Anordnungen der letzteren sind auszu-
führen ohne Rücksicht und ohne Prüfung, ob dieselben nach den
Gesetzen zulässig sind; die unbedingte Gehorsamspflicht der Zivil-
behörden entbindet dieselben andererseits von jeder Verantwortlichkeit
für die Gesetzmäßigkeit der Maßregeln; die Militärbefehlshaber tragen
dieselbe für alle von ihnen ausgehenden Anordnungen persönlich
($ 4, Abs. 2).
B. Die Militärpersonen stehen während des Belagerungs-
zustandes unter den Gesetzen, welche für den Kriegszustand erteilt
sind °), und der Befehlshaber der Besatzung hat über sämtliche zu der
letzteren gehörende Militärpersonen die höhere Gerichtsbarkeit ($ 6
und 7).
y. Gewisse strafbare Handlungen sind mit härterer Strafe
bedroht, wenn sie in einem in Kriegszustand erklärten Orte oder
Distrikte verübt werden. Die im $ 8 des preußischen Gesetzes hier-
über enthaltenen Bestimmungen haben aber keine Geltung mehr, da
sie durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom
31. Mai 1870, 84 ersetzt worden sind. Darnach sind die in den 88 81
(Hochverrat), 88 (Landesverrat), 90 (Kriegsverrat), 307 (Brandstiftung),
3ll, 312, 315, 322, 323, 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen) des
Strafgesetzbuchs mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen
mit dem Tode zu bestrafen, wenn sie in einem Teile des Bundes-
gebietes, welchen der Kaiser in Kriegszustand erklärt hat, begangen
werden °). Dagegen ist $ 9 des preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851
nicht aufgehoben, welcher für die daselbst angegebenen Handlungen,
wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen,
Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre androht‘‘).
1) Hänel, S. 439, hebt hervor, daß damit die vollziehende Gewalt von den
Einzelstaaten auf das Reich, von dem Landesherrn auf den Kaiser übergeht.
2) Militärstrafgesetzbuch $ 9, Ziff. 2 u. 3. |
3) Die Todesstrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausstrafe; auf
sie darf also nicht erkannt werden, wenn — ohne die Verhängung des Kriegszu-
standes — auf eine niedrigere Strafe als lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen
wäre. Für diese Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgesetzbuches auch wäh-
rend des Belagerungszustandes unverändert. Vgl. Oppenhoff, Strafgesetzbuch
Note 7 zu 4 eit.
4) Uebereinstimmend Seydelin v. Stengels Wörterbuch S. 159; Dambitsch
S. 619. Dagegen hält Meyer, Note 10 den $ 9 des preuß. Gesetzes für aufgehoben.