Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

8 127. Die Matrikularbeiträge. 517 
dere Staat die sogenannte Finanzhoheit oder Finanzgewalt, insbeson- 
dere die Besteuerung und das Finanzgesetzgebungsrecht, hat, daß aber 
die Finanzwirtschaft des Reiches materiell, wenigstens zum Teil, eine 
Gesellschaftswirtschaft ist, prägt sich besonders an den Matrikularbei- 
trägen aus. Die Verpflichtung zu ihrer Entrichtung beruht einerseits 
auf dem formellen Rechtstitel des Reichshaushaltsgesetzes !), an- 
dererseits auf dem materiellen Rechtstitel der Mitgliedschaft des 
Reichsverbandes und des Anteils an den Reichsausgaben. Der for- 
melle Rechtstitel des Etatsgesetzes begründet die Legitimation des 
Reichskanzlers, die Zahlung der Beiträge von den Bundesregierungen 
in budgetmäßiger Höhe zu fordern, und die staatsrechtliche Legiti- 
mation der Bundesregierungen, die Zahlungen aus Landesmitteln zu 
leisten ?). Erweisen sich jedoch die budgetmäßigen Matrikular- 
beiträge als unzureichend zur Deckung der Reichsausgaben, sei es, 
weil die sogenannten eigenen Einnahmen des Reiches hinter dem bud- 
getmäßigen Anschlage zurückgeblieben sind oder weil die Ausgaben 
den budgetmäßigen Anschlag überstiegen haben, so äußert der mate- 
rielle Verpflichtungsgrund seine rechtliche Wirkung und es bleibt für 
die Bundesstaaten die Verpflichtung bestehen, den noch fehlenden Be- 
trag nachzuzahlen. Es gibtin derReichswirtschaft kein De- 
fizit im formellen Sinne des Finanzrechtes, so lange die 
einzelnen deutschen Staaten zahlungsfähig sind, weil in den Matriku- 
larbeiträgen eine subsidiäre und alle Bedürfnisse umfassende Einnahme- 
quelle von unbeschränktem Umfange gegeben ist. Tatsächlich ist da- 
gegen ein Defizit in der Reichsfinanzwirtschaft vorhanden, wenn der 
Mehrbetrag der Ausgaben über die Einnahmen durch Zuschüsse (Ma- 
trikularbeiträge) der Einzelstaaten gedeckt werden muß. 
Die Zahlungspflicht der Einzelstaaten zu nachträglichen Matrikular- 
beiträgen muß aber erst festgestellt werden durch Vermittlung eines 
Gesetzes; die materielle Zahlungsverpflichtung muß mit der formellen 
Fixierung derselben, wie sie im Etat erfolgt ist, durch Ergänzung oder 
Abänderung des Etats in Einklang gesetzt, dem materiellen Verpflich- 
tungsgrund ein formeller zugefügt werden. Denn teils haben die zur 
(Etats-)Gesetzgebung berufenen Organe zu prüfen, ob die Mehrausgaben 
oder Mindereinnahmen, welche die nachträgliche Erhöhung der Ma- 
trikularbeiträge verursachen, staatsrechtlich gerechtfertigt erscheinen, 
teils steht ihnen die Befugnis zu, den Mehrbedarf auf andere Art als 
durch Matrikularbeiträge, z. B. durch Einführung neuer Steuern oder 
durch Aufnahme einer Anleihe oder durch Uebertragung des Defizits 
1) Der dauernde gesetzliche Rechtstitel für die Verpflichtung der 
Einzelstaaten zur Zahlung der Matrikularbeiträge besteht in der Vorschrift des Art. 70 
der Reichsverfassung; dieselbe läßt aber das Maß dieser Verpflichtung unbestimmt. 
Das Etatsgesetz setzt für jedes Jahr dieses Maß fest und macht durch diese Deter- 
mination der Vorschrift des Art. 70 die Verpflichtung der Einzelstaaten realisierbar. 
2) Reichsverfassung Art. 70.
	        
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