518 & 127. Die Matrikularbeiträge.
in den Etat des folgenden Jahres zu decken. Daher ist ein Versuch
des Bundeskanzlers, im Jahre 1868 Matrikularbeiträge über die Höhe
des budgetmäßigen Betrages hinaus mit Rücksicht auf die materielle
Verpflichtung der Einzelstaaten zur anteilsmäßigen Deckung sämtlicher
Ausgaben zu erheben, mit Recht als im Widerspruch mit der Ver-
fassung stehend zurückgewiesen worden !), und die Einzelregierungen
würden nicht einmal ihren Landesvertretungen gegenüber legitimiert
sein, Matrikularbeiträge über den im Reichsbudget festgesetzten Etat
hinaus an die Reichskasse zu zahlen. Uebrigens ist die vom Reichs-
tage genehmigteErhöhung derMatrikularbeiträge auf
Grund der stattgefundenen und ihm mitgeteilten Mehrausgaben wohl
zu unterscheiden von der Genehmigung der Etatsüberschreitungen und
außeretatsmäßigen Ausgaben selbst (vgl. darüber $ 129). Die Nach-
weisung des faktischen Finanzergebnisses hat nur die Bedeutung einer
Motivierung für die anderweitige Feststellung der Matrikularbeiträge;
die letztere schließt aber nicht die selbständige Prüfung der Not-
wendigkeit und Angemessenheit der im Etat nicht vorgesehenen oder
nicht in ausreichender Höhe vorgesehenen Ausgaben aus?).
lI. Dieses Nebeneinanderbestehen zweier Verpflichtungsgründe für
die Entrichtung der Matrikularbeiträge, eines formellen und eines
materiellen, hat die Möglichkeit gegeben, die Matrikularbeiträge
formell beizubehalten, auch ohne daß ein materielles Bedürfnis für
dieselben vorhanden war. Dies ist geschehen durch den oben $ 117
bereits erwähnten $ 8, Abs. 1 des Reichsgesetzes vom 15. Juni 18793),
durch das Reichsstempelgesetz vom 1. Juli 1881, $32, durch das Brannt-
weinsteuergesetz vom 24. Juni 1887, 8 39, Abs. 1 und durch die an
die Stelle dieser Geselze getretenen Reichsgesetze.
Diese Bestimmungen standen im Widerspruch mit dem damaligen
Wortlaut des Art. 70, sowie mit Art. 38, Abs. 2 der Reichsverfassung;
denn es wurden Reichssteuern eingeführt nicht zur Deckung der ge-
meinschaftlichen Ausgaben des Reichs, sondern zur Verteilung an die
Bundesstaaten. Man hat diesen Widerspruch in sophistischer Weise
dadurch verdeckt, daß man im Reichsetat die gesamte Einnahme aus
Zöllen und Abgaben als Einnahme und die Ueberweisungen an die
1) Die beiden von dem Ausschusse des Bundesrats für Rechnungswesen unter
dem 3. und 15. Juli 1868 in diesem Sinne verfaßten Berichte sind abgedruckt in Hirths
Annalen 1869, S. 274—284.
2) Vgl. den Kommissionsbericht des Deutschen Reichstages vom 24. April 1871
(Drucksachen I. Session 1871, Nr. 62).
3) Reichsgesetzbl. 1879, S. 211. Vgl. hierüber die Stenogr. Berichte des Reichs-
tages 1879, S. 2177 ff. und 2241 ff. Die Aufnahme der Bestimmung in das Gesetz
beruht auf einem von der Kommission des Reichstages genehmigten Antrage, der
bei den Verhandlungen als der v. Frankensteinsche bezeichnet worden ist.
Eine interessante und lichtvolle Darstellung dieses Systems und seiner Folgen gibt
Preuß, Reichs- und Landesfinanzen S. 40. Vgl. ferner Kittel, Die Franken-
steinsche Klausel und die deutsche Finanzreform, Würzburg 1894, und meinen
Vortrag über die Wandlungen der deutschen Reichsverfassung (Dresden 1895) S. 26 ff.