Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

528 8 128. Bedeutung und Feststellung des Haushaltsetatsgesetzes. 
9. Aus den erwähnten Vorschriften des Art. 69 in Verbindung mit 
der Anordnung des Art. 70, Abs. 1 der Reichsverfassung, daß die ge- 
meinschaftlichen Ausgaben in der Regel für ein Jahr bewilligt werden, 
ergibt sich der Grundsatz, daß nach dem Ablauf des Etatsjahres das 
Budget seine Kraft verliert und nicht als Normalbudget bis 
zur gesetzlichen Feststellung eines neuen Etats fortwirkt. Es ist ferner 
das Bewilligungsrecht für alle gemeinschaftlichen Ausgaben anerkannt, 
ohne daß hinsichtlich des Ordinariums eine andere staatsrechtliche 
Behandlung wie hinsichtlich des Extraordinariums vorgesehen worden 
ist '). 
III. Ueber die Form des Etatsgesetzes enthält die Reichsver- 
fassung keine Bestimmung, obwohl nicht verkannt werden kann, daß 
dies ein Gegenstand von siaatsrechtlicher Bedeutung ist. Die gegen- 
wärtig beobachteten Grundsätze sind im Anschluß an das in Preußen 
und dem Norddeutschen Bunde befolgte Verfahren durch die Praxis 
herausgebildet und traditionell festgehalten worden ?). Es sind folgende 
Punkte hervorzuheben: 
1. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Gesetz, betreffend die 
Feststellung des Haushaltsetats, und dem Etat selbst, welcher als An- 
lage beigefügt ist. Das Gesetz kann materiell inhaltlos sein und sich 
darauf beschränken, zu konstatieren, daß der Etat in Ausgabe und 
Einnahme auf so und so viel Mark festgestellt ist, wobei herkömmlicher- 
weise die Summen der fortdauernden und der einmaligen und außer- 
ordentlichen Ausgaben geirennt angegeben werden. Es kann das Gesetz 
aber überdies Anordnungen enthalten, welche mit der Finanzwirtschaft 
zwei Jahresetats vorgelegt werden, ist unerheblich, da in dem Wortlaut der Reichs- 
verfassung ein Verbot eines solchen Verfahrens keinen Ausdruck gefunden hat. Vgl. 
auch G. Meyer, Staatsrecht $ 209, Anm. 3. 
1) Der Art. 71, Abs. 2 der Reichsverfassung entzog bis zum 31. Dezember 1871 
die Ausgaben für das Reichsheer der Bewilligung seitens des Bundesrates und des 
Reichstages. Die Aufstellung des Militäretats war vielmehr nach Art. 62 für diese 
Uebergangszeit dem Kaiser überlassen, welchem zur Bestreitung des Aufwands 
für das gesamte deutsche Heer jährlich soviel mal 225 Taler, als die Kopfzahl der 
Friedensstärke des Heeres nach Art. 60 der Reichsverfassung beträgt, zur Verfügung 
gestellt worden sind. Der Kaiser war aber verpflichtet, den Etat über die Ausgaben 
für das Heer, nach Titeln geordnet, dem Bundesrate und dem Reichstage zur 
Kenntnisnahme und zur Erinnerung vorzulegen; Bundesrat und Reichstag, 
die einander in dieser Hinsicht ganz gleich gestellt waren, hatten demnach auch 
hinsichtlich der Heeresverwaltung das Recht der Kontrolle und Kritik, nicht aber 
der Verweigerung von Ausgaben innerhalb der Grenzen des Pauschquantums. Durch 
das Gesetz vom 9. Dezember 1871 wurde die Fortgeltung dieser Bestimmungen bis 
zum Ende des Jahres 1874 ausgedehnt. Gegenwärtig ist Art. 71, Abs. 2 der Reichs- 
verfassung ohne Bedeutung. 
2) Während in Preußen jetzt das Gesetz vom 11. Mai 1898 (Gesetzsammlung 
S. 77) die Rechtsregeln über den Staatshaushalt kodifiziert hat, fehlt es bisher noch 
an einem entsprechenden Gesetz über den Haushalt des Reichs. Die Vorschriften 
des preußischen Gesetzes lassen sich nur teilweise und mit Vorsicht auf das Reich 
analog übertragen.
	        
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