8 129. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. 541
absoluter Sicherheit vorher fixieren. Der Etat soll keine Schablone
sein, in welche die Verwaltung durchaus gepreßt werden muß, son-
dern eben nur ein der Verwaltung vorgezeichnetes Programm. End-
lich normiert der Etat die Finanzwirtschaft für ein Jahr, während die
faktische Erhebung von Einnahmen und Leistung von Ausgaben sich
an diese Periode nicht binden läßt. Es ergibt sich demnach, daß Ab-
weichungen von demselben vorkommen können, von rein finanzieller
oder quantitativer Natur, ferner von materieller oder qualitativer Art,
endlich in zeitlicher Beziehung.
1. Die finanziellen oder quantitativen Abweichungen
sind Mindereinnahmen oder Mehreinnahmen, oder Minderausgaben
oder Mehrausgaben. Die letzteren, welche praktisch namentlich von
Bedeutung sind, heißen Etatsüberschreitungen. Allen Arten von
quantitativen Etatsabweichungen gemeinsam ist der Grundsatz, daß
sie bei der definitiven Rechnungslegung nachgewiesen werden
müssen und, soweit die Abweichung vom Etat auf einer Veränderung
der bei der Etatfeststellung vorausgesetzten Verhältnisse beruht, muß
auch dieser Grund der Abweichung dargelegt werden. Dagegen kann
von einer in das Belieben des Bundesrats oder des Reichstags gestell-
ten Genehmigung oder Bewilligung der quantitativen Abwei-
chungen vom Etat, auch der Etatsüberschreitungen, nur in einem sehr
beschränkten Maße die Rede sein. Dieselben entstehen nämlich mei-
stens nicht durch freie, oder auf Willensentschließungen beruhende
Handlungen der Regierung, sondern sie sind lediglich Folgen der feh-
lerhaften Veranschlagung im Etat selbst oder einer Veränderung der
tatsächlichen Verhältnisse, welche bei der Veranschlagung zugrunde
gelegt worden sind. Da die Höhe vieler Einnahmen und ebenso die
Höhe vieler Ausgaben nur nach Wahrscheinlichkeit und nach usance-
mäßigen Fraktionen veranschlagt wird, so liegt es in der Natur der
Sache, daß diese Anschläge mehr oder minder falsch sind und durch
die wirklichen Ergebnisse rektifiziert werden. Alle Mindereinnahmen,
Mehreinnahmen und Etatsüberschreitungen dieser Kategorie erscheinen
daher lediglich als Tatsachen, welche zur Kenntnis des Bundes-
rats und Reichstags gebracht werden. Nur soweit die Etatsüberschrei-
tung auf dem Willen der Regierung beruht, d. h. soweit es von
ihrer Entschließung abhängig war, ob die Ausgabe nur in etatsmäßiger
Höhe oder darüber hinaus geleistet werden sollte, hat die Etatsüber-
schreitung den Charakter einer Handlung, für welche die Regie-
rung die Verantwortlichkeit trägt und für welche sie der Genehmigung
des Bundesrats und Reichstags bedarf. Nur scheinbar steht damit im
Widerspruch, daß nach der bisher befolgten Praxis alle Etatsüber-
schreitungen dem Reichstage zur Genehmigung vorgelegt werden müs-
sen. Es ist dadurch nur anerkannt, daß die Entscheidung der Frage,
zu welcher der beiden angegebenen Kategorien eine Etatsüberschrei-
fung gehört, nicht in das alleinige Ermessen der Regierung gestellt