Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

8 129. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. 543 
Zeitverhältnisse zur Veräußerung von Reichsvermögen oder zur Ab- 
schließung einer Anleihe besonders ungünstig sind, so kann die Re- 
gierung durch die ihr obliegende Sorgfalt bei der Verwaltung des 
Reichsvermögens verpflichtet sein, dergleichen außerordentliche Ein- 
nahmequellen unbenutzt zu lassen. Es wäre ein völliges Verkennen 
der Bedeutung des Etatsgesetzes, wenn man in demselben einen Be- 
fehl an die Regierung erblicken wollte, alle etatsmäßigen Einnahmen 
der Reichskasse zuzuführen. Das Gesetz, welches den Etat feststellt, 
läßt übrigens gewöhnlich keinen Zweifel darüber, daß es sich bei sol- 
chen Einnahmen nur um eine Ermächtigung der Regierung handelt. 
Im Reichsetat findet dies besonders Anwendung auf die Matrikular- 
beiträge, welche der Reichskanzler teilweise oder ganz unerhoben 
lassen kann, wenn sie zur Bestreitung der Reichsausgaben entbehrlich 
erscheinen. 
b) Die Erhebung einer nicht etatsmäßigen Einnahme ist ebenfalls 
der Regierung unverwehrt; nur versteht es sich von selbst, daß sie 
einen gesetzlichen Titel für dieselbe haben muß, daß sie also insbe- 
sondere nicht durch eigenmächtige Kontrahierung von Anleihen, Ver- 
äußerung von Reichsvermögen, Erhebung von ungesetzlichen Abgaben 
sich dieselbe verschaffen darf. Es kann aber wohl vorkommen, daß 
nach Feststellung des Etats ein Gesetz erlassen wird, welches eine 
neue dauernde oder einmalige Einnahme begründet, oder daß durch 
Rechtsgeschäfte (Schenkung, Legat, völkerrechtliche Verträge u. a.) 
oder infolge gerichtlicher Urteile der Reichskasse Einnahmen erwach- 
sen. Einer Genehmigung zur Erhebung von Einnahmen der letzten 
Kategorie seitens des Reichstages bedarf es nicht; dieselben müssen aber 
bei der Rechnungslegung zur Kenntnis desselben gebracht werden '). 
Eine ausdrückliche reichsgesetzliche Anerkennung, daß Einnahmen 
aus anderen als den im Reichshaushaltsetat aufgeführten Bezugsquel- 
len zulässig sind, ist in dem Gesetz vom 11. November 1871, 82 ent- 
halten, demzufolge solche Einnahmen zur Wiederherstellung des Reichs- 
kriegsschatzes zu verwenden sind ’?). 
c) Die Nichtleistung einer etatsmäßigen Ausgabe kann als eine 
Abweichung von der in dem Etatsgesetz aufgestellten Verwaltungsnorm 
erscheinen, für welche die Regierung politisch verantwortlich ist. 
Ist die Förderung gewisser Zwecke von den obersten Organen des 
1) Wenn die Regierung eine solche Einnahme unerhoben ließe, weil sie durch 
das Etatsgesetz nicht „ermächtigt“ sei, sie zu erheben, so würde der betreffende 
Beamte schadensersatzpflichtig sein, und es wäre die Pflicht des Rechnungsbofes, ihn 
zur Ersatzleistung anzuhalten. 
2) Vgl. oben S. 349. Der erwähnte Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung 
der Einnahmen und Ausgaben enthielt im $ 4 die Anordnung: „Einnahmen, welche 
unter keinen der Titel des Etats fallen, sind als außeretatsmäßige Einnahmen in der 
verfassungsmäßig zu legenden Rechnung nachzuweisen.“ — Die Zulässigkeit 
solcher Einnahmen steht demnach ganz außer Frage. Vgl. auch Seydel, Kommentar, 
S. 898.
	        
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