556 & 180. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz.
angemessen oder erforderlich war, sondern sie ist auch dafür verant-
wortlich, daß der Zweck der Ausgabe selbst durch ein dringendes
Reichsinteresse geboten war. In dieser Lage befindet sich die Regie-
rung, wenn sie ohne Etatsgesetz die Verwaltung führt, hinsichtlich
aller, nicht auf spezieller gesetzlicher Verpflichtung oder Ermächti-
gung beruhenden Ausgaben, und man kann demgemäß den Rechts-
satz aufstellen, daß bei nicht zustande gekommenem Etat die Regie-
rung hinsichtlich aller, nicht auf speziellen Gesetzesvorschriften be-
ruhenden Ausgaben eine ähnliche Verantwortung trägt, wie bei der
Verwaltung auf Grund eines Etatsgesetzes hinsichtlich der außer-
etatsmäßigen Ausgaben').
2. Die Einnahmen beruhen zum größten Teile auf Quellen,
die von der alljährlichen Bewilligung unabhängig sind, insbesondere
auf den dauernd gültigen Zoll- und Steuer- und Gebührengesetzen und
den Erträgen der Betriebsanstalten; hinsichtlich dieser Einnahmen ist
daher die Verwaltung, wenn kein Etatsgesetz zustande gekommen ist,
in ganz derselben Lage, als wenn die voraussichtlichen Erträge dieser
Quellen im Etatsgesetz veranschlagt worden sind?). Eine Ausnahme
besteht dagegen hinsichtlich folgender Einnahmen:
a) Die Matrikularbeiträge. Dieselben können nicht erho-
ben werden, wenn es an einem gesetzlich festgestellten Etat fehlt, da
nach Art. 70 der Reichsverfassung der Reichskanzler dieselben nur
bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages ausschreiben darf, das Vor-
handensein eines Budgets daher eine unerläßliche Voraussetzung hier-
für ist®). Andererseits sind aber durch Art. 62, Abs. 2 der Reichsver-
1) v. Martitz, Ueber den konstitutionellen Begriff usw. S. 67, erklärt diesen
Satz für rechtsirrtümlich, weil die Genehmigung der außeretatsmäßigen Ausgaben in
einer anderen Form erfolgt wie die Feststellung des Etats (siehe oben S. 545).
Die logische Schlüssigkeit ist-bei dieser Ausführung zu vermissen.
2) Die Vertreter des parlamentarischen Bewilligungsrechts behaupten, daß auch
die dauernd für die einschlägigen Materien vorhandenen Gesetze, um ausgeführt
werden zu können, alljährlich eines neuen, besonderen Ausführungsgesetzes
bedürfen, als welches das Budgetgesetz in seinen auf die Einnahmen bezüglichen
Positionen sich darstellt. Die Gesetze selbst enthalten von dieser Ergänzungsbe-
dürftigkeit nichts, ebensowenig die Reichsverfassung. Sollen, wenn am 1. April eines
Jahres das Etatsgesetz nicht publiziert ist, alle Waren zollfrei eingehen, alle Ver-
brauchsabgaben aufhören, alle Postsendungen portofrei befördert werden usw.?
3) Sehr zutreffend sagt Seydel, Kommentar, S. 390: „Wenn die verbündeten
Regierungen es ihren Landtagen gegenüber auf ihr Gewissen nehmen, die erforder-
lichen Matrikularbeiträge freiwillig zu zahlen, bzw. auf ihre Dividenden aus der
Frankensteinschen Klausel ganz oder teilweise zu verzichten, so verletzen sie da-
durch entschieden nicht die Reichsverfassung. Letztere enthält kein Verbot an die
Staaten, Matrikularbeiträge freiwillig früher zu zahlen, als sie gefordert werden
können. Auch ihren Landtagen gegenüber vermöchten die verbündeten Regierungen
ein solches Vorgehen zu verantworten. Die verbündeten Regierungen leisten, wenn
sie bei mangelndem Budget Mitgliederbeiträge entrichten, kein indebitum. Denn
ihre materielle Pflicht zur Ergänzung des Fehlbetrags der gemeinschaftlichen Ein-
nahmen besteht unabhängig vom Budget. Art. 70 sagt: „sind sie... aufzubringen.“