8 181. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung. 559
Regelung der Finanzwirtschaft und Staatsverwaltung nicht wirksam
ausüben und geltend machen könnte und daß ihre Teilnahme an der
Festsetzung des Staatshaushalts sich als illusorisch und wirkungslos
erweisen müßte, wenn nicht die gesamte Verwaltung einer umfassen-
den Kontrolle durch eine unabhängige Behörde unterliegen und der
Volksvertretung Rechenschaft darüber gegeben würde, daß die unter
ihrer Mitwirkung aufgestellten Normen tatsächlich bei Führung der
Staatsgeschäfte beobachtet worden sind. Auch bei der Errichtung des
Norddeutschen Bundes bestand keine Meinungsverschiedenheit dar-
über, daß die Verwaltung des Bundes zur Rechnungslegung verpflichtet
sei und der Entlastung sowohl von seiten des Bundesrats als von sei-
ten des Reichstags bedürfe. Dies fand im Art. 72 der Bundesverfas-
sung Ausdruck; über die Art und Weise aber, wie die Verwaltungs-
rechnung geprüft und die Entlastung vorbereitet werden sollte, traf
die Verfassung keine Bestimmung!) Es konnte dies auch in der Tat
entbehrlich scheinen im Hinblick auf die Rolle, welche nach der ur-
sprünglichen Anlage der Bundesverfassung Preußen zugedacht war’).
Da die überwiegende Mehrzahl aller Behörden, deren Rechnungen zu
prüfen waren, Preußen angehörten oder aus preußischen Behörden
unmittelbar hervorgegangen waren (Marine, Militär, Gesandtschaften,
Konsulate usw.), und da der König von Preußen in seiner Eigenschaft
als Bundespräsidium zugleich der Chef der gesamten Bundesverwal-
tung war, so mußte es angemessen erscheinen, die in Preußen be-
stehenden Vorschriften und Einrichtungen auf die Bundesverwaltung
einfach auszudehnen. Man hätte zwar eine besondere Rech-
nungsbehörde für die Finanzkontrolle der Bundesverwaltung
neben der preußischen Oberrechnungskammer ohne Schwierigkeiten
errichten können; dagegen hätte es große Unzuträglichkeiten im Ge-
folge haben müssen, wenn die Grundsätze über die Rechnungslegung
und Rechnungsprüfung, über die Funktionen der Rechnungsbehörde,
über das Verhältnis derselben zu den Verwaltungsbehörden einerseits
und zur Volksvertretung andererseits für die Bundesverwaltung anders
normiert worden wären wie für die preußische Staatsverwaltung. In
Preußen war aber das durch Art. 104 der Verfassungsurkunde ver-
heißene Gesetz über die Einrichtung und die Befugnisse der Oberrech-
nungskammer noch nicht erlassen worden, der Rechtszustand in dieser
Beziehung also nicht definitiv geregelt; demgemäß mußte man auch
im Norddeutschen Bunde zunächst von einer verfassungsmäßigen und
definitiven Ordnung der Finanzkontrolle Abstand nehmen. Man be-
gnügte sich daher, durch das Gesetz vom 4. Juli 1868 (Bundesgesetzbl.
Ss. 433) die Kontrolle der Staatsrechnungen des Norddeutschen Bundes
1) Ein von den Abgeordneten Duncker und Waldeck beantragtes Amendement,
betreffend die Einsetzung eines Bundesrechnungshofes wurde vom verfassungberaten-
den Reichstage abgelehnt.
2) Vgl. Hänel, Studien I, S. 10 ff., 56. ff.