Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

8 131. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung. 569 
ausgezahlt sind, darf der Rechnungshof absehen, wenn es sich um ge- 
ringfügige Beträge handelt, oder wenn die Einziehung oder Hinaus- 
zahlung mit Weiterungen oder Kosten verbunden wäre, die nicht im 
richtigen Verhältnis zu der Höhe des Betrags ständen. Bei Einzel- 
beträgen über 100 Mark ist den gesetzgebenden Körperschaften von 
der Unterlassung Kenntnis zu geben'). 
Bleibt jedoch zwischen dem Rechnungshofe und dem Verwal- 
tungschef (Reichskanzler) eine Meinungsverschiedenheit bestehen, welche 
durch die Notatenbeantwortung nicht erledigt werden kann, so muß 
die Entscheidung bei einer höheren Stelle durch den Reichskanzler 
herbeigeführt werden und bis dieselbe erfolgt ist, die Erteilung der 
Decharge aufgeschoben werden. Welches Organ des Reiches zur Fäl- 
lung der Entscheidung zwischen Rechnungshof und Verwaltungschef 
zuständig ist, bestimmt sich nach dem Gegenstand des Streitpunktes. 
Als Prinzip ist hierbei der Satz festzuhalten, daß über die richtige und 
angemessene Handhabung und Anwendung einer Vorschrift diejenige 
Potenz authentisch entscheidet, welche diese Vorschrift erlassen hat 
und zur Abänderung derselben befugt ist. Nach diesem Grundsatz ist 
im allgemeinen der Bundesrat als diejenige Behörde anzusehen, 
welche zur Entscheidung berufen ist, und diese Kompetenz ist durch 
Art. 7, Ziff. 3 der Reichsverfassung begründet; denn es handelt sich in 
der Tat um eine Beschlußfassung über »Mängel, welche bei der Aus- 
führung der Reichsgesetze oder der allgemeinen Verwaltungsvorschriften 
und Einrichtungen hervortreten«. Soweit jedoch die Monita sich auf 
die Ausführung von Anordnungen beziehen, zu deren selbständigem 
Erlaß der Kaiser reichsgesetzlich ermächtigt ist, ist der Zweifel durch 
eine kaiserliche Kabinettsordre zu entscheiden, welche vom Reichs- 
kanzler oder einem verantwortlichen Stellvertreter desselben gegen- 
zuzeichnen ist. 
VI. Hiervon zu unterscheiden sind die sogenannten justifizie- 
renden Kabinettsordres des Kaisers’). Man versteht darunter 
1) Kontrollgesetz 8 8. Ueber Fondsverwechselungen, welche bei der Prüfung 
der Rechnungen durch die Verwaltungsbehörden bemerkt werden, siehe auch daselbst 
$ 3, Abs. 3, letzter Satz. 
2) Vielfache Erörterungen darüber finden sich in den Verhandlungen des preuß. 
Abgeordnetenhauses und des Reichstages. Unter den letzteren sind hervorzuheben 
Stenogr. Berichte von 1884/85, Bd. 2, S. 1144 ff. und Bd. 3, S. 2004 ff. und die Berichte 
der Rechnungskommission vom 14. Januar 1885 (Drucksachen Nr. 101 u. 102); ferner 
Stenogr. Berichte von 1885/86, Bd. 3, S. 1891 fg. und die Berichte der Rechnungs- 
kommission in den Drucksachen Nr. 225 u. 304; endlich die Stenogr. Berichte von 
1889/90, Bd. 2, S. 1120 ff. und besonders der Bericht der Rechnungskommission vom 
17. Januar 1890 in den Drucksachen Nr. 126. — Eine vorzügliche Abhandlung über 
diesen Gegenstand hat Jo&l in Hirths Annalen 1888, S. 805 ff. veröffentlicht. Vgl. 
ferner Jo &1 ebendaselbst 1891, S. 417 ff.; 1892, S. 283 ff.; 1895, S. 122 ff. und meine 
Abhandlung im Archiv für öffentl. Recht Bd. 7, S. 169 ff. (1892), welche das Gnaden- 
recht in Finanzsachen nach dem preußischen Recht zum Gegenstand 
hat; die allgemeinen Gesichtspunkte sind aber auch für das Reichsstaatrecht von 
Belang. Curtius in Hirtlhs Annalen 1893, S. 670 ff.
	        
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