$ 131. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung. 571
Königs zum Erlaß von Justifikatorien geregelt werden, und diese Rechts-
sätze auf den Kaiser zu übertragen. Denn zur Zeit der absoluten Mon-
archie war das Recht des Königs ein unbedingtes und unbeschränktes
und jene Bestimmungen haben daher nicht die Tendenz, dem Könige
bestimmte einzelne Rechte beizulegen, sondern die Befugnis der Mi-
nister und anderer Behörden auszuschließen und gewisse
Verfügungen dem Könige vorzubehalten; sie regeln nicht den Umfang
der Majestätsrechte, sondern die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden.
Während nun aber für Preußen die Machtfülle des absoluten König-
tums den Ausgangspunkt bildet und zu dem Grundsatz führt, daß dem
Könige alle in der Staatsgewalt enthaltenen Rechte verblieben sind,
welche ihm nicht durch die Verfassung entzogen oder beschränkt
worden sind, bildet für den Inhalt der kaiserlichen Rechte die davon
wesentlich verschiedene Stellung des Bundespräsidiums die
Grundlage.
Andererseits ist es ebenso unhaltbar, dem Kaiser das Recht zu
administrativen Gnadenbewilligungen ganz abzusprechen, weil es mit
der Feststellung des Etats im Wege der Gesetzgebung unvereinbar sei ').
Denn im Etatsgesetz werden die Gesamtsummen gewisser Arten
von Einnahmen oder Ausgaben veranschlagt; die konkreten Fälle da-
gegen, in welchen die Einnahmen oder Ausgaben zu bewirken sind,
werden vom Etatsgesetz nicht betroffen. Die justifizierenden Kabinetts-
ordres begründen daher regelmäßig keine Abweichung vom Etatsgesetz,
falls sie nicht etwa einmal eine Ausgabe anordnen, für deren Berech-
nung gar kein etatsmäßiger Fonds vorhanden ist, was tatsächlich nicht
leicht vorkommt.
Vielmehr ist davon auszugehen, daß dem Kaiser als dem Führer
der Regierungsgeschäfte und dem höchsten Chef der Verwaltung alle
diejenigen Befugnisse zustehen, welche in dem Wesen der Verwaltung
begründet sind. Hier erweisen sich die oben Bd. 2. $ 64 gegebenen
Frörterungen, daß die Verwaltung innerhalb des von den Gesetzen
gezogenen Spielraumes Handlungsfreiheit hat, als praktisch verwertbar.
Danach sind folgende Fälle zu unterscheiden:
a) Reichsgesetze können nicht durch Erlasse des Kaisers
außer Kraft gesetzt werden; und zwar auch nicht im einzelnen
Falle. Der Kaiser hat daher auch nicht das sogenannte Dispensrecht,
da die Dispensation von einer gesetzlichen Vorschrift nichts anderes
als die Außerkraftsetzung derselben im einzelnen Falle ist °). Dieser
Satz ist die unabweisbare Konsequenz der formellen Gesetzes-
kraft,d.h. des Grundsatzes, daß ein Gesetz nur im Wege der Gesetz-
gebung außer Kraft gesetzt werden kann, soweit nicht Ausnahmen
davon ausdrücklich zugelassen sind. Dieser Grundsatz greift deshalb
1) So insbesondere Hänel, Studien II, S. 343 fg.
2) Vgl. auch JoEl S. 816 fg. und die dort Angeführten; ferner Seydel; Bayer.
Staatsrecht II, S. 35; Dyroff in Hirths Annalen 1889, S. 903 ff.