$ 131. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung. 573
sogenannten Defekten. Das Gesetz macht die Reichsbeamten für die-
selben haftbar, aber es schreibt nicht vor, daß diese Haftung gegen sie
in allen Fällen geltend gemacht werden muß. Der Anspruch des
Reichsfiskus ist ein dispositiver und unterliegt daher der Niederschlagung
im Grnadenwege. |
c) Endlich können auch Ausgaben praeter legem vorkommen:
Akte kaiserlicher Gnade, welche rechtlich indifferent sind. Für die-
selben ist im Etat ein Dispositionsfonds ausgesetzt'); Mehrausgaben,
welche nicht auf das folgende Jahr übernommen werden sollen, sind
wie andere Etatsüberschreitungen zu behandeln.
Die praktische Verschiedenheit dieser drei Kategorien zeigt sich in
dem Anspruch des Reichskanzlers, welcher den kaiserlichen Erlaß
gegengezeichnet hat, auf Erteilung der Decharge seitens des Bundesrats
und. Reichstags.
Liegt ein Fall der ersten Art, eine Handlung contra legem vor, so
ist der Reichskanzler durch die Genehmigung des Kaisers rechtlich
nicht gedeckt und er muß dem Bundesrat und Reichstag die Umstände
darlegen, aus denen sich die Abweichung vom Gesetz, die Gewährung
von Gnade statt Recht, im konkreten Falle ausnahmsweise recht-
fertigen läßt. Die Beweispflicht im Entlastungsverfahren trifft
den Reichskanzler.
Handelt es sich dagegen um einen Fall der zweiten Kategorie, bei
welchem der Kaiser ein formelles Recht zur Niederschlagung hat, so
kann der Reichskanzler auch vom Bundesrat und Reichstag die Ent-
lastung fordern; es sei denn, daß nach den Umständen ein Mißbrauch
des Gnadenrechts, eine Schädigung der finanziellen Ordnung, eine Ver-
letzung des Rechts- und Billigkeitsgefühls vorliegen sollte, so daß es
die Pflicht des Reichskanzlers gewesen wäre, im konkreten Falle die
Gegenzeichnung abzulehnen. Der Nachweis solcher Umstände liegt
der Körperschaft ob, welche die Entlastung versagt.
In Fällen der dritten Art endlich hat der Reichskanzler zwar
keinen Anspruch auf Entlastung; dieselbe wird ihm aber bil-
ligerweise nicht versagt werden können, wenn er den Nachweis führt,
daß der Dispositionsfonds infolge besonderer, nicht vorhergesehener
Ereignisse oder Umstände bei sorgfältiger, sparsamer und pflichtge-
mäßer Verwendung dem tatsächlichen Jahresbedürfnis nicht genügt hat.
2. Eine Schwierigkeit anderer Art entsteht daraus, daß gewisse Ein-
nahmen und Ausgaben für Rechnung des Reiches, aber nicht von
Reichsbehörden, sondern von Landesbehörden kraft eigenen Rechts
der Einzelstaaten verwaltet werden, nämlich einerseits die Zölle und
die in die Reichskasse fließenden Steuern, andererseits die Militäraus-
gaben?. Da das Recht zu administrativen Gnadenbewilligungen mit
1) Im Etat des Reichsschatzamtes (Kap. 68, Tit. 1); er beträgt 3 Mill. Mark und
ist von einem Jahre in das andere übertragbar.
2) Hinsichtlich der Verwaltung der Reichsbank kommen, wie Jo&1S. 832