Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 577
licher Beziehung die einer ordnungsmäßigen Quittung, in staatsrecht-
licher die Entlastung des Reichskanzlers von der ihm bis dahin ob-
liegenden Verantwortlichkeit ').
Anhang.
Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht.
Das Budgetrecht ist mehr als irgend ein anderer Teil des deut-
schen Staatsrechts zum Gegenstande der wissenschaftlichen Erörte-
rungen gemacht worden und der Streit über die richtige Theorie
wurde lange Zeit mit einer Heftigkeit geführt, welche in der wis-
senschaftlichen Diskussion ungewöhnlich ist und sich aus der hervor-
ragenden politischen Bedeutung dieser Materie erklärt. Da es nicht
möglich war, in der vorhergehenden Darstellung, ohne den Zusammen-
hang zu stören und das Verständnis zu erschweren, alle gegen die-
selben erhobenen Einwendungen zu widerlegen und anderen Ansich-
ten gegenüber Stellung zu nehmen, so möge hier eine kritische Ueber-
sicht der neueren Literatur über das Budgetrecht, soweit dieselbe der
Beachtung wert ist, Platz finden.
Die Meinungsverschiedenheit über die rechtliche Natur des Bud-
gets ist auf das innigste verflochten mit der Kontroverse, ob die Un-
terscheidung von Gesetzen im materiellen Sinn und Gesetzen im for-
mellen Sinn wissenschaftlich berechtigt und dem konstitutionellen
Staatsrecht entsprechend ist; es gibt seit dem Erscheinen meiner Mono-
graphie über das Budgetrecht nach der preußischen Verfassung (Berlin
1871) keine diese Lehre betreffende Erörterung, welche nicht diese
beiden Fragen zugleich behandelt. Die folgende Erörterung soll sich
aber im wesentlichen auf die Kontroverse über das Budgetrecht be-
schränken und auf die Streitfragen hinsichtlich des Gesetzesbegriffes
nur insoweit eingehen, als es zum Verständnis unumgänglich erforder-
lich ist. Die Verschiedenheit der Ansichten über die Berechtigung des
formalen Gesetzesbegriffes führt auch nicht notwendig zu diametral
entgegengesetzten Budgettheorien. Denn der aus der Natur des Bud-
gets abgeleitete Grundsatz, daß die staatlichen Organe, welche das Bud-
get festsetzen, dabei an die bestehenden Rechtssätze hinsichtlich des
zu beschließenden Inhalts gebunden sind, wird auch von manchen
Gegnern des formellen Gesetzesbegriffes zugestanden, indem sie zu der
1) So wie das Etatsgesetz nur das Verhältnis der legislativen Körperschaften zu
dem verantwortlichen Leiter der Verwaltung, nicht das Verhältnis des letzteren zu
den ihm untergeordneten Behörden usw. betrifft, so wirkt auch die Entlastung nur
zwischen der Körperschaft, die sie erteilt, und dem Reichskanzler. Die Haftung der
Beamten für Pflichtwidrigkeiten und Defekte, der Lieferanten für Konventional-
strafen usw. wird von der dem Reichskanzler erteilten Entlastung nicht berührt.
Urteil des Reichsgerichts vom 9. April 1885 (Entscheidungen in Zivilsachen
Ba. 13, S. 258 ff.).