578 Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht.
Annahme einer inhaltlich »gebundenen Gesetzgebung« ihre Zuflucht
nehmen. Ebenso wird die andere aus der Natur des Budgets als eines
Wirtschaftsplanes hergeleitete Konsequenz, daß Abweichungen vom
gesetzlich festgestellten Etat an sich nicht den Charakter von Rechts-
verletzungen haben, von Gegnern des formalen Gesetzesbegriffes in
der Form zugestanden, daß sie zwar jede Abweichung vom Etatsgesetz
an und für sich für eine Rechtswidrigkeit erklären, ihr rechtliche
Wirkungen aber nur dann beilegen, wenn sie »schuldbar« sei, so daß
also die Abweichung vom Etatsgesetz, auch die bewußte und gewollte,
für sich allein noch nicht den Tatbestand einer schuldbaren Hand-
lung bilde.
Den eigentlichen Kern der Streitfrage über das Budgcetrecht bildet
aber ein ganz anderer Punkt, welcher mit der Theorie vom Verhält-
nis der Gesetzesform zum Gesetzesinhalt nur einen sehr losen Zusam-
menhang hat, nämlich die Frage, ob ein periodisches Budgetgesetz
die verfassungsmäßig unerläßliche und unentbehrliche Ermächtigung
zur Erhebung von Einnahmen und zur Leistung von Ausgaben sei-
tens der Regierung sei, so daß beim Mangel eines solchen Gesetzes
die Fortführung der Verwaltung verfassungswidrig und ungesetzmäßig
sei!). Vom Standpunkt des positiven Rechts aus zerfallen die deut-
schen Verfassungen in dieser Beziehung in zwei Gruppen, deren Haupt-
vertreter einerseits das bayerische, andererseits das preußische Recht
sind. Das Recht des Deutschen Reiches schließt sich an das System
des preußischen Rechts an. Der Gegensatz dieser beiden Systeme ist
niemals ganz verkannt worden, erst in neuerer Zeit aber mit voller
Schärfe und Klarheit, namentlich von Seydel dargelegt worden’).
Eine Erörterung des bayerischen Budgetrechtes und der dem-
selben eigentümlichen Streitfragen liegt außerhalb des Gegenstandes
dieses Werkes; hier können nur diejenigen Schriften besprochen werden,
welche sich auf das preußisch-deutsche Budgetrecht beziehen.
I.
Eine erhebliche Anzahl bedeutender und angesehener Staatsrechts-
schriftsteller hat sich mit den von mir entwickelten Grundsätzen in
2) Es sind folgende Schriften von M. Seydel: „Das Budgetrecht des baye-
rischen Landtages und das Verfassungsverständnis von 1848“ in den Festgaben der
Münchener Juristenfakultät zum Doktorjubiläum von v. Planck, München 1887, S.1 ft.
Bayerisches Staatsrecht Bd. 4, S. 291 ff. (1889) (2. Aufl. II S. 535 ff.) und in
populärer Darstellung „Ueber Budgetrecht“, Deutsche Zeit- und Streitfragen, Heft 62,
Hamburg 1889. Rehm in Hirths Annalen 1901, S. 641 ff. bezeichnet die Auffassung
Seydels vom bayerischen Budgetrecht als unrichtig und entwickelt eine andere
Theorie. Gegen Rehm siehe Piloty in den Blättern für admin. Praxis Bd. 52,
S. 1—40. Siehe jetzt auch die eingehende Darstellung in der Bearbeitung des Seydel-
schen Staatsrechts von v. Graßmann S. ff. u E.v. Ziegler, Die Praxis des
bayrischen Budgetrechts. München 1905. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Frage
des bayerischen Landesstaatsrechts einzugehen.