580 Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht.
braucht, durch welche er einen eigentümlichen Gesichtspunkt in die
Budgetlehre hineingebracht hat. Er sagt nämlich, daß die Regierung,
wenn ein Etatsgesetz nicht zustande gekommen ist, nur nach den
Geboten des Notstandes die Finanzverwaltung weiterzuführen
berechtigt und verpflichtet ist« }). Diese Anschauung hat auch in an-
deren Darstellungen Anklang gefunden ?) und darum halte ich es für
nötig, auf dieselbe etwas näher einzugehen. Durch einen Notstand
wird eine Rechtsverletzung entschuldbar; wer aber nur das
tut, was sein Recht und seine Pflicht ist, der braucht sich zur Recht-
fertigung seiner Handlungsweise nicht auf einen Notstand zu berufen.
Es gibt kein »Recht des Notstandes«, sondern nur eine Straflosigkeit
einer verbotenen Tat mit Rücksicht auf einen Notstand, und von einer
Pflicht, »nach den Geboten (!) des Notstandes zu handeln«, kann
nicht geredet werden, sofern man mit seinen Worten einen juristi-
schen Gedanken verbinden will. Die Regierung, in deren Kassen tat-
sächlich die Gelder fließen und welcher die Behörden und Untertanen,
das Heer, die Gerichte, die Polizei, Gehorsam: leisten, befindet sich
tatsächlich gewiß nicht in einem Notstande; wie soll sie nach den Ge-
boten desselben handeln?)! Ebensowenig aber befindet sie sich »dem
Recht gegenüber« in einem Notstande, wenn sie sich an die, von
Schulze selbst als richtig anerkannten Rechtssätze hält, durch wel-
che die Befugnis der Regierung, die Verwaltung auf eigene Verantwort-
lichkeit fortzuführen, begründet und zugleich begrenzt wird, während
die Annahme eines Notstandes jeder Willkür, jedem subjektiven Er-
messen, jedem Ausbruch der Parteileidenschaft freie Bahn schafft.
Schulze verwechselt den Notstand, in welchen die Vertreter einer
falschen Budgettheorie wegen der absurden Konsequenzen der letzteren
geraten, weil nämlich jene Theorie »zur Auflösung des Staates selbst
führen würde«, mit dem Notstande des Staates oder der Regierung,
den jene Theorie nicht zu erzeugen vermag, am wenigsten, wenn man
— wie Schulze -- ihre Unrichtigkeit anerkennt.
IM.
Jellinek, Gesetz und Verordnung, Freiburg 1837, steht den bis-
her genannten Schriftstellern sehr nahe, indem er den Unterschied
zwischen Gesetzen im formellen und materiellen Sinn anerkennt und
dieselben durch eingehende geschichtliche Untersuchungen in seinem
über mehrere Jahre erstrecken, oder für Einrichtungen, die nach ihrer Natur oder
kraft gesetzlicher Bestimmung dauernde sind.
1) Grünhuts Zeitschrift S. 199. Preuß. Staatsrecht II, S. 447. Deutsches Staats-
recht I, S. 594.
2) Z. B. Jellinek, Gesetz und Verordn. S, 302; Brie im Archiv für öffentl.
Recht Bd. 4, S. 34; Hänel, Studien II, S. 353; Fricker S. 407.
3) Siehe auch Prazäk S. 468.