588 Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht.
eine Gesetzeskraft und es gibt kein Gesetz ohne Gesetzeskraft.« Kurz
darauf aber (S. 246) erörtert v. Martitz die Mannigialtigkeit der
(materiellen) Wirkungen der Gesetze'). Der Kern seiner Ausführungen
wird von ihm selbst dahin formuliert, daß in jedem Gesetz,
seinInhaltsei, welcher er wolle, Landesrecht ent-
halten sei. Daraus folgt, daß auch der in Gesetzesform festgestellte
Staatshaushaltsetat ein Teil der »Rechtsordnung< sei. Würde es sich
nun um weiter nichts handeln als um den Streit, ob der Inhalt des
Etats als »Rechtssatzung« anzusehen sei oder nicht, so würde dies auf
einen Streit darüber hinauslaufen, was man unter »Recht« zu ver-
stehen habe, und man könnte jedem seine Ausdrucksweise überlassen.
v. Martitz zieht aber S. 271f. ziemlich unvermittelt den Schluß, daß
wenn die Verfassung die Feststellung des Etats durch Gesetz vorschreibt,
»die Landesregierung nur dem vorliegenden Etatsgesetze die Voll-
macht entnehmen könne, die Finanzverwaltung nach Maßgabe der in
demselben genehmigten Etats zu führen«. Wie diese Folgerung aus
dem von v. Martitz aufgestellen Gesetzesbegriff sich ergibt, wird
nicht erläutert. Die Frage endlich, was geschehen solle, wenn das
Etatsgesetz nicht zustande kommt, soll nach seiner Meinung nicht
mehr dem Bereiche des Rechts angehören; hier sei alle juristische
Konstruktion vergeblich und müßig; er sagt: »Es klingt geradezu wie
ein Hohn auf die Wissenschaft, solche Krisen, wo der Staat am Rande
des Abgrundes steht, wo ein Sprung in das Dunkle .. . zu wagen ist,
zu Rechtsinstituten zu machen« (S. 272 fg.).
Die Deduktion v. Martitz’s hat, wie man sieht, an der ent-
scheidenden Stelle eine unausgefüllte Lücke. Wenngleich man die Unter-
scheidung zwischen Rechtsvorschrift und Gesetzesform preisgibt, wenn
man einräumt, daß der in Gesetzesform festgestellte Etat »Landesrecht«
sei, so folgt doch daraus noch keineswegs, daß wenn es an einem sol-
chen Gesetz in einem bestimmten Zeitpunkt fehlt, nun gar keine sub-
sidiär eintretenden und den Jahresetat wenigstens teilweise ersetzenden
Rechtsvorschriften bestehen oder bestehen können. Die Einsicht, daß
das verfassungsmäßige Erfordernis eines jährlichen Voranschlags nicht
imstande sei, die auf dauernden Gesetzen beruhenden Einnahmen
des Staates in Jahresrenten zu verwandeln und die gesetzlichen Ein-
richtungen des Staates auf Jahresabonnement zu stellen, ist v. Martitz
verloren gegangen.
v1.
Zorn, Staatsrecht Bd. 2, 8 33 (1883)?) und in Hirths Annalen
1889, S. 344 ff. verwirft ebenfalls die Unterscheidung zwischen formellen
1) Die unlöslichen Widersprüche, in welche sich v. Martitz verwickelt, sind
von G. Meyer in Grünhuts Zeitschrift Bd. 8, S. 33fg. und von Seligmann
S.14 fg. klargelegt worden. Vgl. auch die treffliche Schrift von G. Anschütz, Krit.
Studien zur Lehre vom Rechtssatz und formellen Gesetz, Leipzig 1891, S. 17 ff.
2) In der zweiten Auflage Bd. 1, $ 16 (1895) hat Zorn seine Ansicht in allen