Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 589 
und materiellen Gesetzen; er erkennt demgemäß für das Budgetgesetz 
keinerlei besondere Regeln weder in betreff der Feststellung des In- 
halts, noch in betreff der rechtlichen Wirkungen an. Hinsichtlich des 
Budgetrechts entwickelt er folgende Theorie: Keine staatsrechtliche 
Materie sei für Preußen und das Reich so vollständig und so kritiklos 
nach fremdem Muster geordnet worden als das Budgetrecht. Dieses 
Budgetrecht sei französisch-belgisch ; es sei das verhängnisvolle Prinzip 
der Lex annua für alle Einnahmen und Ausgaben rezipiert. »Alle 
Rechte des Staates auf Einnahmen und alle Pflichten des Staates zu 
Ausgaben existieren nach unserem positiven Verfassungsrecht nur für 
ein Jahr« (Staatsrecht S. 340). Die gesetzgebenden Faktoren seien bei 
Feststellung des Budgets auch nicht »inhaltlich gebunden«, sondern 
die preußischen Kammern und .der Deutsche Reichstag stehen jedes 
Jahr den sämtlichen Einnahmen und Ausgaben ohne jede rechtliche 
Gebundenheit, genau ebenso frei wie jedem anderen Gesetzentwurf 
gegenüber (Annalen S. 371). »Keine lebenslängliche Anstellung der Be- 
amten, keine Garantie der Staatsschuld vermag den Satz zu beseitigen, 
der uns in Wahrheit bei jedem Schritte wieein Me- 
dusenhauptentgegengrinst: Alle Einnahmen und Ausgaben 
des Staates werden durch das alljährliche Budgetgesetz bewilligt.« Es 
gibt weder Einnahmen noch Ausgaben, welche rechtlich vom Parla- 
ment bewilligt werden müßten, und falls das Etatsgesetz nicht zustande 
gekommen ist, so ist die Regierung rechtlich nicht befugt, Einnahmen 
und Ausgaben zu machen (Staatsrecht S. 342ff.). Dieses französisch- 
belgische Budgetrecht erklärt er für ein durch und durch ungesundes, 
der preußisch-deutschen Staatsverfassung diametral widersprechendes, 
das jeden Tag zu den Schrecken der Anarchie führen und die Existenz 
des Staates in Frage stellen kann (Annalen S. 373 fg.). 
Diese radikale Auffassung des Budgetrechts ist der Ausdruck eines 
vollkommenen Pessimismus. Das preußisch-deutsche Budgetrecht, 
dessen Gefährlichkeit und Widersinnigkeit er so scharf brandmarkt, 
ist nach Zorns Auffassung die Strafe dafür, »daß man in Preußen für 
das süddeutsche Verfassungsleben der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- 
derts nur Spott hatte und von den Süddeutschen nicht lernen mochte« 
(Annalen S. 369). Jetzt möge Preußen und das Deutsche Reich die 
Folgen ihrer Anlehnung an das »französisch-belgische Muster« tragen, 
bis sie sich entschließen, das geltende Budgetrecht nach bayerischem 
oder englischem Vorbild zu reformieren (Annalen S. 374). 
Freilich verkennt der Verfasser nicht, daß dies »schwierig, ja ge- 
fährlich sei<; man darf wohl hinzufügen, daß jeder Versuch dieser Art 
ganz aussichtslos ist und einen furchtbaren, den inneren Frieden ge- 
fährdenden Sturm hervorrufen würde. 
Punkten festgehalten, ohne zur Begründung derselben oder zur Widerlegung der 
gegen sie erhobenen Einwendungen neue Gesichtspunkte beizubringen.
	        
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